Der bloße Überlebensinstinkt ist kurzsichtig

„Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“
Seite 21

Von der Kurzsichtigkeit des Überlebensinstinktes

Lediglich die meisten der in höchsten Positionen amtierenden Politiker und Wirtschaftsgrößen dürfen sich noch, mehr oder minder berechtigte, Hoffnungen machen, ihren Lebensabend unter weitestgehend gewohnten Umständen zu verbringen. Schon die Nachwuchspolitiker, die maßgeblich die Politik mitbestimmen – und das sind durchschnittlich jene von Anfang 30 bis Mitte 40 – werden noch zu Lebzeiten von den Folgen eines trotz aller Scheinstrategien sorglosen Umgangs mit der Natur in spürbarer Weise beeinträchtigt werden. Ganz zu schweigen von deren Kindern und Kindeskindern…


Politischer Überlebensinstinkt greift zu kurz…


Wenn man sich also fragt, ob wir uns die durchschnittlichen Führungsspitzen überhaupt noch leisten können,
und wenn man sich fragt, ob wir uns unseren Nachwuchs in Politik und Wirtschaft noch leisten können,
wenn man schließlich feststellt, dass es wenigstens noch einige wenige Ausnahmen unter den Politikern jeden Alters gibt, die meisten aber im gewohnten Parteiengefüge sorgsam eingeschliffen sind,
und wenn man letztenendes entdecken muss, dass selbst Politiker, die sich wählkämpferisch geradezu umsturzgewillt zeigen, sich schließlich auch nur als sture Demagogen entlarven und sich dem System beugen,
dann müssen wir uns doch in letzter Konsequenz nur einfach fragen, ob wir uns ganz allgemein unsere Politik überhaupt noch länger leisten können!


… weil Umweltprobleme deutlich länger wirken.


Zwar ist es so, dass sich die Frage nach der inneren Friedlichkeit der Gesellschaften ebenso wie global nach der Friedlichkeit der Gesellschaften untereinander daran entscheiden wird, ob es gelingt, soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Aber auch in diesem Punkt wird abnehmend die Wohlstandsfrage und zunehmend die Umweltproblematik einfließen: In Zukunft werden sich gemeinsame gesellschaftliche Zielsetzungen und Aufgaben eher daran orientieren, wie Umweltschutz, Renaturierungen, die Nivellierung unvermeidbarer Schadstoffemissionen sowie die Entgiftung der Umwelt möglich sind, jedoch erst sekundär weiter daran, wie mit dem geringsten Aufwand der größte wirtschaftliche Gewinn zu schöpfen ist.


Aktuelles Beispiel: Rohstoffproblematik höher bewertet als Langzeitschäden


Wenn es aber heute schon in den Demokratien so ist, dass jede beliebige Partei und jeder beliebige Politiker den Umweltschutz auf seine Fahnen schreibt, dann wird man, wenn sich soziale Probleme stärker herauskristallisieren und zudem Umweltprobleme von sozial Minderprivilegierten entsprechend schlechter umgangen oder wenigstens ausgeglichen werden können, damit rechnen können, dass das Thema Umweltschutz politisch radikalisiert wird. Das kann innenpolitisch ebenso geschehen wie es wahrscheinlich international viel früher der Fall sein wird, als man das bisher wahrhaben möchte. Es sei nur dezent an Kyoto im Dezember 1997 erinnert, um auf die Anfänge dessen schon hinzuweisen…

Das Verlustgeschäft Nationalpolitik

Die zweite Hälfte des Kapitels „Das Verlustgeschäft Nationalpolitik“ – ebenfalls aus meinem Buch „Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“. Da muss ich nämlich schließlich ein wenig vor meinen eigenen Worten erschrecken. Was ich dort beschreibe, ist gleichsam wie unaufhaltsam bereits im Gange. Und was ich hier geschrieben hatte, in dem Teil 1 meines Buches, ist ja nicht etwa die Projektion eines hoffnungsvollen und engagierten Gegenentwurfs. … der außerdem keineswegs so seine Gültigkeit haben muss, wie ich ihn beschrieben habe! Sondern Teil 1 von „Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“ ist eine Gesellschafts- und Gegenwartskritik aus dem Jahre 1998.
Und wenn ich dann am Ende abschließend geschrieben habe: „Das könnte verhindert werden.“ – dann hätte, das noch zu verhindern, aber mehr politischer Weitsicht erfordert…

„Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“
Seite(17)/18
– die zweite Hälfte –

Das Verlustgeschäft Nationalpolitik

[…]

Tatsächlich […] geht es in der Politik noch nicht einmal grundsätzlich um Fragen der wirtschaftlichen Stellung eines Staates, sondern auch um die Achtung nationaler Gefühle, mittels derer sich zahlreiche Politiker geneigt sehen, die Wiederwahl der eigenen Person oder wenigstens der eigenen Partei zu sichern. Zum Schaden des gesellschaftlichen Gefüges wird demonstriert, man sei unmittelbar für die Anliegen der Bürger offen. Es wird vorgeschützt, den nationalen Interessen ebenso wie der Nationalbevölkerung könne eine Umgestaltung bestimmter Standards nicht zugemutet werden.

Es ist jedoch ein Trugschluss von Politikern und Wirtschaftsgrößen, der erst durch all diese nationalistischen Verwirrungen möglich ist, dass Europa eine politische Vereinigung erst leisten könne und dürfe, wenn man auf der Grundlage sozialer Standards näher zusammengefunden habe. Bis es aber soweit sei, reiche die Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit vollkommen aus, wie sie hier und heute gefördert werde.


Europa verteidigt sich nicht gegen die Schwäche der vielen Nationalstaaten


Für die Wirtschaft insgesamt ist ein solcher Einigungsprozess tatsächlich von nur sekundärem Interesse. Zum einen wusste die Seite der Großunternehmer stets seinen Gewinn zu schöpfen, und das selbst in Zeiten größter Entbehrungen für die Gesamtbevölkerung und also auch für Kleinunternehmer. Zum anderen sind Auslagerungen von Forschungs- und Produktionsstandorten auch über die Grenzen der EU hinaus längst kein Problem mehr. Unternehmer fliehen also mit dem Produktionsmittel, nicht erst mit ihrem Kapitalertrag vor einem zu engen und investitionshemmenden staatlichen Abgaben- und Auflagenkorsett […]. Längst erkennen Unternehmen der freien Wirtschaft die Vorteile der Zusammenarbeit selbst mit einst härtesten Konkurrenten und nutzen diese in Forschung, Entwicklung und Produktion auch grenzüberschreitend.


Den europäischen Staaten wird global der Rang abgelaufen


Ich möchte nicht behaupten, dass diese in der Politik nicht erkannt werde. Tatsache ist, dass mit falscher Rücksicht auf vermeintliche Gefühle der nationalen Identität oder die Sicherung sozialer interessen vorschützend politische Schritte unterlassen oder sogar aktiv behindert werden, die eine längst überfällige politische Einigung voranbringen könnten. Richtig ist schließlich, dass mit immensen zeitlichen Verzögerungen eine soziale Annäherung auf niedrigstem Niveau erreicht werden wird. Denn bis es soweit ist, werden die europäischen Nationen weltweit eine deutlich untergeordnete Rolle spielen.

[…]

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Mangelnde Bereitschaft zu Innovationen

(*) Dieser Beitrag bezieht sich auf „Wie aus Problemverdrängung  ein ernstes Problem wird…“. Die Rede wird abermals von Innovationen sein.

Wie absurd muss es sich lesen, im Jahre 2017, dass Arbeitslosigkeit ein Problem sein soll? Bekämpft aber wurde die Arbeitslosigkeit, indem man in Deutschland das Lohnniveau abgesenkt und Arbeitsplatzsicherung deutlich eingeschränkt hat. Das mögen zum Teil notwendige Schritte gewesen sein, um unternehmerisches Handeln zu erleichtern. Dennoch darf man fragen, ob nicht in vielen Bereichen deutlich über das Ziel hinausgeschossen wurde.

Und nein: Es wurde NICHT! Prekäre Arbeitsverhältnisse haben zugenommen. Selbst einst begehrte Berufe müssen heute als prekär eingestuft werden. Und man hat das Lohnniveau umfassend gesenkt – was den Zugang zu jeglichen Berufen durchschnittlich erleichtert… und damit wiederum Druck erzeugt. – Man darf also streiten, wie viel des politischen Eingreifens hier und wie viel der politischen Passivität dort tatsächlich gut war.

Eines aber ist unbestreitbar: Man beschwert sich kaum und beklagt sich leise, fast hinter vorgehaltener Hand. Das aber durchaus mit recht. Denn was inzwischen stattfindet, ist die Selbstausbeutung einer Gesellschaft und einer Kultur nach innen. Auf keine Fall ist die geringe Arbeitslosigkeit der Gegenwart (2017) einer höheren Innovationsfreude zu verdanken. Und was Anfang 1998 als Ergebnis einer Studie veröffentlich worden ist, das gilt im Grundsatz auch heute:

„Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“
Seite 15


Anpassungen nehmen zu – Innovationen hingegen nehmen ab


„Seit 1971 analysierte der Betriebswirt und geschäftsführende Gesellschafter an der Akademie Schloß Garath [Rolf Berth] den Anteil von Innovationen am Gesamtumsatz der deutschen Industrie. […] Folgt man der in der EU üblichen Nomenklatur, gibt es bei Produkten und Serviceleistungen drei Typen von Innovationen. Anpassungsverbesserungen (etwa: neues Etikett auf einer Getränkeflasche), Erneuerungsinnovationen (Räder unterm Koffer oder stark verbesserte Herstellungsprozesse) und die revolutionären Durchbruchsinnovationen (Laser-Technologie).
[…] versicherten die Befragten, Innovationen im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten ‚mit Nachdruck‘ voranzutreiben. Tatsächlich aber waren […] nur die wenig risikoreichen Anpassungen stark angestiegen (35 Prozent). Die Erneuerungsinnovationen nahmen dagegen um 30 Prozent ab. Die Durchbruchsinnovationen verbuchten gar ein Minus von 56 Prozent.“ (Die Welt, 08.01.1998)

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Der lethargische Bürger im Frieden mit Demagogen

„Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“
Seite 14 (Auszüge)

Über den Frieden des lethargischen Bürgers mit den Demagogen

Eines der vielstrapazierten Worte unserer Zeit ist das Wort „Krise“. Genau gesehen befinden wir uns aber in einer vorkritischen Phase. Einerseits besteht intern für die europäischen Staaten die Möglichkeit, auf einem reformativen Wege ein neues und zukunftsfähiges Gesamtsystem aufzubauen, ohne revolutionäre Umtriebe zu provozieren. […] Andererseits steht auf globaler Ebene die Revolution längst in den Anfängen. Längst aber werden auch alle revolutionären Stimmungen politisch missbraucht – auf europäisch-amerikanischer Seite wiederum werden diese revolutionären Umtriebe entweder übersehen oder fehlgedeutet und mit brüsker Überheblichkeit falsch beantwortet.


Die „Krise“ als Schreckgespenst – und Führungsinstrument


Das Wort „Lösung“ mutiert unserer Tage zum Synonym für Täuschung. Denn es gibt viele Stimmen aus Politik und Wirtschaft, die von Lösungen sprechen, jedoch nur Teilaspekte herausgegriffen haben, die durchzusetzen höchstens den heute blühenden Neoliberalismus bewiese, aber die Gesellschaftskrise zu lösen in der stets isolierten Form ohnehin keineswegs geeignet sind.

„Vor lauter Bäumen den Wald nicht zu sehen“ – ein altes Sprichwort, das auch hier zutrifft: Es gibt Lösungsvorschläge zuhauf, mit Hilfe derer Kostenexplosionen im Sozialwesen gebremst oder Arbeitslosigkeit abgebaut werden sollen… oder, oder. Ohne zu sagen, dass jeder dieser Lösungsvorschläge untauglich sei: Wo ist das Konzept, in das gefasst die vielen kleinen Lösungen überhaupt gedeihen könnten, um ein großes Ziel zu erlangen?

Bestärkt wird der Bürger in [seinem] Eindruck noch durch […] geringere Einkommenszuwächse – aber blühende Wirtschaftsbilanzen. […] Das Ergebnis […]: Der Bürger ist verkommen zum lethargischen und politisch frustrierten Arbeitskraftpotenzial.


Politische Lethargie lähmt den Willen zum Wandel


Der Schritt hinaus aus dieser Lethargie sollte von Seiten der Politiker vorgeleistet werden. Gleichzeitig also muss die Politik in der Lage sein, soziale Sicherheiten auch unterhalb der Mittelschicht zu garantieren. Politik muss in der Lage sein, den Desozialisierungsprozess der Gesellschaft und den Verlust des Solidaritätsprinzips zu verhindern. Stattdessen aber ringt der Einzelne – Allgemeininteressen nicht nur missachtend, sondern zunehmend verletztend – um den Erhalt seines sozialen Status. Durch einen wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Druck wird der Einzelne zu einem unpolitischen Bürger, die Massen werden zu einer unpolitischen und losen Menge – und lassen sich dabei gleichzeitig politisch instrumentalisieren.

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