Reformation: der wahren Demokratie gedenken

Die Reformation in ihrer 500. Jährung darf in der Tat und ruhig einmal einem jeden ein Tag des Erinnerns und des Achtens sein – auch einem jeden, der nicht gläubig oder nicht religiös ist.

Religion ist ja nicht nur der Gang zur Kirche oder zum Gebetshaus, ist nicht nur Trost und Seelenfrieden. Religion ist auch stets ein gesellschaftliches Regulativ. Und Religion ist ein Synonym für einen eingegrenzten Denkraum. Trotz Luthers Aufbegehren gegen Wirken und Gebaren der katholischen Kirche: Auch ein Synonym für die freiwillig eingegangene Akzeptanz von Grenzen: Grenzen der persönlichen Freiheit – im Handeln wie auch in der Weltanschaung.
Aber wiederum nicht: Die Legitimation, die Freiheit des Denkens und die Freiheit der persönlichen Meinungsäußerung per Diktat einzuschränken. Luther ist derjenige, der die Grenzen des Denkens zu sprengen nicht erst mit dem Anschlagen seiner Thesen selbst gewagt hat:

Luthers Thesen: Die Aushängung an sich als demokratisches Bekenntnis

Die Freiheit, die er sich genommen hat, war, Denkdiktate zu überwinden. Bahnbrechend war, diese Befreiung durch das Anschlagen seiner Thesen öffentlich zu machen. Und diese Freiheit einem jeden einzelnen einzuräumen. Im Nachhinein betrachtet war schon das die eigentliche Reformation. Dabei hatte Luther Spaltung nicht gefordert – und nicht die Neugründung einer anderen Kirche! Sondern Dialog und Austausch: Er forderte Disput!
Er forderte die Bereitschaft aller Beteiligten, eine Reform, eine Neuordnung des Vorhandenen zu gestalten.

Informationsfreiheit – auch ein Erfolg der Reformation?

Der eigentliche Akt der Befreiung waren weniger die Thesen selbst – als vielmehr der Akt des so genannten „Anschlages“ der Thesen: Die Aufforderung zum Aufruhr! Denn viel aufschlussreicher ist die von Luther verfasste Präambel:

Aus Liebe zur Wahrheit und im Verlangen, diese zu erhellen, sollen die folgenden Thesen in Wittenberg disputiert werden unter dem Vorsitz des ehrwürdigen Pater Martin Luther, Magister der freien Künste und der heiligen Theologie, dort auch ordentlicher Professor der Theologie.“ (Quelle: www.ekd.de) Und Luther geht noch darüber hinaus, wenn er ausnahmslos von jedem einfordert, sich zu beteiligen: „Deshalb bittet er jene, die nicht anwesend sein können, um mit uns mündlich zu debattieren, dies in Abwesenheit schriftlich tun.“ (Quelle: w.v.)

Die Reformation markiert einen gesellschaftlichen Umbruch

Damit löst Luther nicht Moral und Glauben auf und erklärt diese nicht zum Alleinraum und Freiraum des Individuums. Aber er beklagt entschieden die Vermengung weltlicher Machtinteressen einerseits und die Auslegung von Wort und Willen seines Gottes andererseits. Er stellt nicht Gott noch Glauben in Frage – sondern Aspekte der Machtübung, als auch die Unangreifbarkeit dieser Machtübung.
Dabei ist es nicht allein Luther, der ausnahmslos jeden in die Meinungsbildung einbeziehen möchte, ehe man daraus einen gesellschaftlichen Konsens schaffen möge: Es ist eine Bewegung um Luther herum.
Das ist ein Demokratieverständnis, das über jenes der Zeit und über jenes der alten Griechen deutlich hinausgeht.
So sehr ich die „alten Griechen“ schätze und achte – so sehr ich verschiedene der alten Philosophen als wichtige Grundsteine eines freien Hinterfragens und Denkens ansehe… Vielleicht dürfen wir ihnen auch dankbar sein für manchen Einfluss auf unsere heutige Kultur. Jedoch kreide ich ihnen an, dass sie ganz selbstverständlich und bedenkenlos den Prozess der Meinungsbildung einem kleinen, erlesenen Kreise und einer privilegierten Schicht allein vorbehalten beließen. Nur ein beschränkter Kreis von so genannten „freien“ Bürgern hatte Zugang zu den Organen der Volksherrschaft. Von dieser Volksherrschaft ausgeschlossen waren die Frauen per se, die Sklaven allemal, und auch jene, die der Sklaverei zwar entstiegen, aber deshalb noch lange keine freien Bürger waren.

Luther beschränkt seine Ansprache an jedermann in keiner Weise – und im Grunde nur faktisch und vielleicht mit ein wenig Unbedacht: Weder des Lesens noch des Schreibens war man dereinst so selbstverständlich mächtig. Jedoch: Dem Grunde nach hatte Luther wahrhaftig niemanden davon ausgeschlossen, sein Denken und Meinen einzubringen in den Prozess der kollektiven Meinungsbildung und in den Prozess der kollektiven Herausbildung eines neu zu gestaltenden gesellschaftlichen Konsenses: die Gestaltung einer Reformation eben.

Luther als der „wahre“ Demokrat?

Der wahre Demokrat war Luther gewiss nicht. Man muss ihn aus seiner Zeit heraus verstehen, wie das auch für jene alten Griechen gilt. Denen ich ihrerseits ein mildes Maß der Kritik zukommen lassen muss für einige Aspekte, die ihnen hätten aufstoßen müssen bei all ihrer Aufgeschlossenheit und Bedachtsamkeit, mit der sie die Philosophie betrieben! Jedoch: Luther hat mehr angestoßen, als die bloße Idee einiger Landesfürsten, sich dem Machtanspruch der katholischem Kirche zu entziehen unter Vorzeichen und Vorspiegelung einer neuen Glaubensgesinnung – und zu widersetzen.
Luther hat langfristig betrachtet ein gewaltiges Umdenken ausgelöst.

Keineswegs verdient also hat Luther, dass man den Jahrestag der Reformation zum konfessionellen Feiertag erhebt. Sondern verdient hätte es die gesamte Bewegung um Luther herum, dass man einen staatlichen Feiertag und nationalen Gedenktag daraus machte! Die Bewegung um Luther herum war es schließlich auch, die ihn „gekidnapped“ und auf der Wartburg in Schutzhaft gehalten hat. Im positiven Sinne! Denn, die damalige Kirche an der Vollstreckung des Urteils zu hindern bedeutete, dieses Urteil faktisch für unrechtens zu erklären. Und Luther mit der Verhaftung auf der Wartburg wahrhaftig den Begehrlichkeiten des Unrechtssystem zu entziehen, war auch das bedingungslose Bekenntnis zur Freiheit des Denkens. Diese ist freilich später und oft auch gerade an der reformierten Kirche gescheitert. Aber sei es drum…

Reformationstag könnte staatlicher Gedenktag sein – nicht konfessioneller

An der Reformation, die Luther gemeint hatte, ist er selbst gescheitert. Dennoch feiert man ihn als den großen „Reformator“. – Es wäre unserem demokratischen Selbstverständnis vielleicht zuträglicher, Luther als einen zu verstehen, der tatsächlich jeden an einem gesellschaftlichen Disput beteiligen wollte. Dafür muss man nicht mit Luther den Glauben teilen, um seine geistige und philosophische Leistung ebenso anzuerkennen, wie seinen Mut, eine sehr grundlegende gesellschaftliche Veränderung anzustoßen.

Mensch, Gemeinschaft, Gesellschaft

„Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“
Seite 22

Der Staat im Selbstverständnis als solidarisches Gefüge

Zweifelsfrei der überwiegende Teil der Bürger aller großen Gesellschaften versucht den Anschluss an Makro- oder Mikrogesellschaften [zu finden]. Nicht nur, um einem psychischen Druck auszuweichen, der in der Anonymität der Staatsgesellschaft wächst, sondern auch, um soziale Sicherheiten zu suchen, die das Gesamtsystem, befürchtet oder tatsächlich, nicht bieten kann. Diese Subgesellschaften mögen Kirchengemeinden, Sportvereine oder nachbarschaftliche Kaffeerunden sein. Je stärker eine solche Gemeinschaft aber auch einen moralischen oder im weitestens Sinne ideologischen Anspruch erhebt, desto stärker wird bei allem möglichen oder tatsächlichen Vorteilen des zwischenmenschlichen Zusammenhaltes die unanfechtbare Freigeistigkeit eines jeden Individuums eingeschränkt. Das wiederum baut geistige Grenzen innerhalb der übergeorneten Gesellschaftsorganisation auf und stört somit die Harmonie in der Gemeinschaft und die Veränderungsfähigkeit der Gesellschaft im Allgemeinen.

Ein Staat, is eine solche größere Gesellschaft, die zahlreiche Verantwortlichkeiten zu tragen verpflichtet ist. Weiter richtet jeder Staatsbürger mit verschiedenen Tragweiten einen Erwartungskomplex an den Staat. Andererseits aber ist es auch der Staat, der die verschiedensten Allgemeinpflichten an den Bürger herantragen muss, um seinen Verpflichtungen nachkommen zu können. Dabei wird der Staat weitverbreitet als ein dem Einzelbürger ablehnend gesonnener Institutionsapparat empfunden, der sich nötigenfalls mittels Zwangsmaßnahmen sowohl beim Bürger als auch des Bürgers bedient. So sehr in mancher Hinsicht diese negative und resignative Haltung gegenüber dem Staat als institutionalisierter Größe verständlich ist, so wenig ist sie geeignet, einen Staat zielgerichtet und zukunftsorientiert umzubauen.


Neues Verständnis von Staat und Gesellschaft von Nöten


Der Staat ist an sich keine Institution, sondern die Gemeinschaft von Menschen, die so weit sich deckende Interessen haben, dass sie mehrheitlich den Willen zeigen, nach außen hin als Einheit aufzutreten. Es ist dabei nicht wirklich erheblich, dass in der Regel ein Staat als gewachsene Struktur weniger eine Wahl-, als mehr eine Schicksalsgemeinschaft darstellt, zu der sich dennoch eine deutliche Mehrheit in der Überzeugung bekennt, dass die gegebene Gesellschaftsform die günstigsten Umstände für den Schutz der persönlichen Interessen und die günstigsten Voraussetzungen für wünschenswerte Veränderungen biete. Hierbei steht zwar der Staat an sich als Gemeinschaft, und nicht jedes Individuum im Einzelnen, als Verantwortungsträger für gesellschaftliches Handeln und gesellschaftliche Entwicklungen da. In dieser Gemeinschaft aber kann ebenfalls niemals der Einzelne sich seiner Mitverantwortung entziehen.


Nationale soziale Ungleichgewichte


Eine solche staatliche Schicksalsgemeinschaft ist dann nicht mehr sozialgerecht, wenn einer materiell befriedigten bis satten Mehrheit ein beachtlicher Anteil von Bürgern in unmittelbar drohender oder in unmittelbarer sozialer Not gegenüber steht.

Ein solcher Staat ist weiterhin dann nicht sozialfriedlich, wenn individuelle Sicherheiten, und zwar infolge innerer sozialer Instabilität, zum Privileg eines zunehmend kleineren Bevölkerungsanteils wird.


Soziale Ungleichgewichte im globalen Kontext


Eine solche staatliche Gemeinschaft ist schließlich in der Gesamtheit aller Staaten nicht tragbar, wenn ihre Bürger einen unverhältnismäßig höheren Lebensstandard genießen, während der überwiegende Teil der Bürger aller Gemeinschaften in Armut bis existenzieller Not leben.

Der bloße Überlebensinstinkt ist kurzsichtig

„Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“
Seite 21

Von der Kurzsichtigkeit des Überlebensinstinktes

Lediglich die meisten der in höchsten Positionen amtierenden Politiker und Wirtschaftsgrößen dürfen sich noch, mehr oder minder berechtigte, Hoffnungen machen, ihren Lebensabend unter weitestgehend gewohnten Umständen zu verbringen. Schon die Nachwuchspolitiker, die maßgeblich die Politik mitbestimmen – und das sind durchschnittlich jene von Anfang 30 bis Mitte 40 – werden noch zu Lebzeiten von den Folgen eines trotz aller Scheinstrategien sorglosen Umgangs mit der Natur in spürbarer Weise beeinträchtigt werden. Ganz zu schweigen von deren Kindern und Kindeskindern…


Politischer Überlebensinstinkt greift zu kurz…


Wenn man sich also fragt, ob wir uns die durchschnittlichen Führungsspitzen überhaupt noch leisten können,
und wenn man sich fragt, ob wir uns unseren Nachwuchs in Politik und Wirtschaft noch leisten können,
wenn man schließlich feststellt, dass es wenigstens noch einige wenige Ausnahmen unter den Politikern jeden Alters gibt, die meisten aber im gewohnten Parteiengefüge sorgsam eingeschliffen sind,
und wenn man letztenendes entdecken muss, dass selbst Politiker, die sich wählkämpferisch geradezu umsturzgewillt zeigen, sich schließlich auch nur als sture Demagogen entlarven und sich dem System beugen,
dann müssen wir uns doch in letzter Konsequenz nur einfach fragen, ob wir uns ganz allgemein unsere Politik überhaupt noch länger leisten können!


… weil Umweltprobleme deutlich länger wirken.


Zwar ist es so, dass sich die Frage nach der inneren Friedlichkeit der Gesellschaften ebenso wie global nach der Friedlichkeit der Gesellschaften untereinander daran entscheiden wird, ob es gelingt, soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Aber auch in diesem Punkt wird abnehmend die Wohlstandsfrage und zunehmend die Umweltproblematik einfließen: In Zukunft werden sich gemeinsame gesellschaftliche Zielsetzungen und Aufgaben eher daran orientieren, wie Umweltschutz, Renaturierungen, die Nivellierung unvermeidbarer Schadstoffemissionen sowie die Entgiftung der Umwelt möglich sind, jedoch erst sekundär weiter daran, wie mit dem geringsten Aufwand der größte wirtschaftliche Gewinn zu schöpfen ist.


Aktuelles Beispiel: Rohstoffproblematik höher bewertet als Langzeitschäden


Wenn es aber heute schon in den Demokratien so ist, dass jede beliebige Partei und jeder beliebige Politiker den Umweltschutz auf seine Fahnen schreibt, dann wird man, wenn sich soziale Probleme stärker herauskristallisieren und zudem Umweltprobleme von sozial Minderprivilegierten entsprechend schlechter umgangen oder wenigstens ausgeglichen werden können, damit rechnen können, dass das Thema Umweltschutz politisch radikalisiert wird. Das kann innenpolitisch ebenso geschehen wie es wahrscheinlich international viel früher der Fall sein wird, als man das bisher wahrhaben möchte. Es sei nur dezent an Kyoto im Dezember 1997 erinnert, um auf die Anfänge dessen schon hinzuweisen…

Das Verlustgeschäft Nationalpolitik

Die zweite Hälfte des Kapitels „Das Verlustgeschäft Nationalpolitik“ – ebenfalls aus meinem Buch „Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“. Da muss ich nämlich schließlich ein wenig vor meinen eigenen Worten erschrecken. Was ich dort beschreibe, ist gleichsam wie unaufhaltsam bereits im Gange. Und was ich hier geschrieben hatte, in dem Teil 1 meines Buches, ist ja nicht etwa die Projektion eines hoffnungsvollen und engagierten Gegenentwurfs. … der außerdem keineswegs so seine Gültigkeit haben muss, wie ich ihn beschrieben habe! Sondern Teil 1 von „Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“ ist eine Gesellschafts- und Gegenwartskritik aus dem Jahre 1998.
Und wenn ich dann am Ende abschließend geschrieben habe: „Das könnte verhindert werden.“ – dann hätte, das noch zu verhindern, aber mehr politischer Weitsicht erfordert…

„Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“
Seite(17)/18
– die zweite Hälfte –

Das Verlustgeschäft Nationalpolitik

[…]

Tatsächlich […] geht es in der Politik noch nicht einmal grundsätzlich um Fragen der wirtschaftlichen Stellung eines Staates, sondern auch um die Achtung nationaler Gefühle, mittels derer sich zahlreiche Politiker geneigt sehen, die Wiederwahl der eigenen Person oder wenigstens der eigenen Partei zu sichern. Zum Schaden des gesellschaftlichen Gefüges wird demonstriert, man sei unmittelbar für die Anliegen der Bürger offen. Es wird vorgeschützt, den nationalen Interessen ebenso wie der Nationalbevölkerung könne eine Umgestaltung bestimmter Standards nicht zugemutet werden.

Es ist jedoch ein Trugschluss von Politikern und Wirtschaftsgrößen, der erst durch all diese nationalistischen Verwirrungen möglich ist, dass Europa eine politische Vereinigung erst leisten könne und dürfe, wenn man auf der Grundlage sozialer Standards näher zusammengefunden habe. Bis es aber soweit sei, reiche die Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit vollkommen aus, wie sie hier und heute gefördert werde.


Europa verteidigt sich nicht gegen die Schwäche der vielen Nationalstaaten


Für die Wirtschaft insgesamt ist ein solcher Einigungsprozess tatsächlich von nur sekundärem Interesse. Zum einen wusste die Seite der Großunternehmer stets seinen Gewinn zu schöpfen, und das selbst in Zeiten größter Entbehrungen für die Gesamtbevölkerung und also auch für Kleinunternehmer. Zum anderen sind Auslagerungen von Forschungs- und Produktionsstandorten auch über die Grenzen der EU hinaus längst kein Problem mehr. Unternehmer fliehen also mit dem Produktionsmittel, nicht erst mit ihrem Kapitalertrag vor einem zu engen und investitionshemmenden staatlichen Abgaben- und Auflagenkorsett […]. Längst erkennen Unternehmen der freien Wirtschaft die Vorteile der Zusammenarbeit selbst mit einst härtesten Konkurrenten und nutzen diese in Forschung, Entwicklung und Produktion auch grenzüberschreitend.


Den europäischen Staaten wird global der Rang abgelaufen


Ich möchte nicht behaupten, dass diese in der Politik nicht erkannt werde. Tatsache ist, dass mit falscher Rücksicht auf vermeintliche Gefühle der nationalen Identität oder die Sicherung sozialer interessen vorschützend politische Schritte unterlassen oder sogar aktiv behindert werden, die eine längst überfällige politische Einigung voranbringen könnten. Richtig ist schließlich, dass mit immensen zeitlichen Verzögerungen eine soziale Annäherung auf niedrigstem Niveau erreicht werden wird. Denn bis es soweit ist, werden die europäischen Nationen weltweit eine deutlich untergeordnete Rolle spielen.

[…]

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Mangelnde Bereitschaft zu Innovationen

(*) Dieser Beitrag bezieht sich auf „Wie aus Problemverdrängung  ein ernstes Problem wird…“. Die Rede wird abermals von Innovationen sein.

Wie absurd muss es sich lesen, im Jahre 2017, dass Arbeitslosigkeit ein Problem sein soll? Bekämpft aber wurde die Arbeitslosigkeit, indem man in Deutschland das Lohnniveau abgesenkt und Arbeitsplatzsicherung deutlich eingeschränkt hat. Das mögen zum Teil notwendige Schritte gewesen sein, um unternehmerisches Handeln zu erleichtern. Dennoch darf man fragen, ob nicht in vielen Bereichen deutlich über das Ziel hinausgeschossen wurde.

Und nein: Es wurde NICHT! Prekäre Arbeitsverhältnisse haben zugenommen. Selbst einst begehrte Berufe müssen heute als prekär eingestuft werden. Und man hat das Lohnniveau umfassend gesenkt – was den Zugang zu jeglichen Berufen durchschnittlich erleichtert… und damit wiederum Druck erzeugt. – Man darf also streiten, wie viel des politischen Eingreifens hier und wie viel der politischen Passivität dort tatsächlich gut war.

Eines aber ist unbestreitbar: Man beschwert sich kaum und beklagt sich leise, fast hinter vorgehaltener Hand. Das aber durchaus mit recht. Denn was inzwischen stattfindet, ist die Selbstausbeutung einer Gesellschaft und einer Kultur nach innen. Auf keine Fall ist die geringe Arbeitslosigkeit der Gegenwart (2017) einer höheren Innovationsfreude zu verdanken. Und was Anfang 1998 als Ergebnis einer Studie veröffentlich worden ist, das gilt im Grundsatz auch heute:

„Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“
Seite 15


Anpassungen nehmen zu – Innovationen hingegen nehmen ab


„Seit 1971 analysierte der Betriebswirt und geschäftsführende Gesellschafter an der Akademie Schloß Garath [Rolf Berth] den Anteil von Innovationen am Gesamtumsatz der deutschen Industrie. […] Folgt man der in der EU üblichen Nomenklatur, gibt es bei Produkten und Serviceleistungen drei Typen von Innovationen. Anpassungsverbesserungen (etwa: neues Etikett auf einer Getränkeflasche), Erneuerungsinnovationen (Räder unterm Koffer oder stark verbesserte Herstellungsprozesse) und die revolutionären Durchbruchsinnovationen (Laser-Technologie).
[…] versicherten die Befragten, Innovationen im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten ‚mit Nachdruck‘ voranzutreiben. Tatsächlich aber waren […] nur die wenig risikoreichen Anpassungen stark angestiegen (35 Prozent). Die Erneuerungsinnovationen nahmen dagegen um 30 Prozent ab. Die Durchbruchsinnovationen verbuchten gar ein Minus von 56 Prozent.“ (Die Welt, 08.01.1998)

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