Mensch, Gemeinschaft, Gesellschaft

„Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs“
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Der Staat im Selbstverständnis als solidarisches Gefüge

Zweifelsfrei der überwiegende Teil der Bürger aller großen Gesellschaften versucht den Anschluss an Makro- oder Mikrogesellschaften [zu finden]. Nicht nur, um einem psychischen Druck auszuweichen, der in der Anonymität der Staatsgesellschaft wächst, sondern auch, um soziale Sicherheiten zu suchen, die das Gesamtsystem, befürchtet oder tatsächlich, nicht bieten kann. Diese Subgesellschaften mögen Kirchengemeinden, Sportvereine oder nachbarschaftliche Kaffeerunden sein. Je stärker eine solche Gemeinschaft aber auch einen moralischen oder im weitestens Sinne ideologischen Anspruch erhebt, desto stärker wird bei allem möglichen oder tatsächlichen Vorteilen des zwischenmenschlichen Zusammenhaltes die unanfechtbare Freigeistigkeit eines jeden Individuums eingeschränkt. Das wiederum baut geistige Grenzen innerhalb der übergeorneten Gesellschaftsorganisation auf und stört somit die Harmonie in der Gemeinschaft und die Veränderungsfähigkeit der Gesellschaft im Allgemeinen.

Ein Staat, is eine solche größere Gesellschaft, die zahlreiche Verantwortlichkeiten zu tragen verpflichtet ist. Weiter richtet jeder Staatsbürger mit verschiedenen Tragweiten einen Erwartungskomplex an den Staat. Andererseits aber ist es auch der Staat, der die verschiedensten Allgemeinpflichten an den Bürger herantragen muss, um seinen Verpflichtungen nachkommen zu können. Dabei wird der Staat weitverbreitet als ein dem Einzelbürger ablehnend gesonnener Institutionsapparat empfunden, der sich nötigenfalls mittels Zwangsmaßnahmen sowohl beim Bürger als auch des Bürgers bedient. So sehr in mancher Hinsicht diese negative und resignative Haltung gegenüber dem Staat als institutionalisierter Größe verständlich ist, so wenig ist sie geeignet, einen Staat zielgerichtet und zukunftsorientiert umzubauen.


Neues Verständnis von Staat und Gesellschaft von Nöten


Der Staat ist an sich keine Institution, sondern die Gemeinschaft von Menschen, die so weit sich deckende Interessen haben, dass sie mehrheitlich den Willen zeigen, nach außen hin als Einheit aufzutreten. Es ist dabei nicht wirklich erheblich, dass in der Regel ein Staat als gewachsene Struktur weniger eine Wahl-, als mehr eine Schicksalsgemeinschaft darstellt, zu der sich dennoch eine deutliche Mehrheit in der Überzeugung bekennt, dass die gegebene Gesellschaftsform die günstigsten Umstände für den Schutz der persönlichen Interessen und die günstigsten Voraussetzungen für wünschenswerte Veränderungen biete. Hierbei steht zwar der Staat an sich als Gemeinschaft, und nicht jedes Individuum im Einzelnen, als Verantwortungsträger für gesellschaftliches Handeln und gesellschaftliche Entwicklungen da. In dieser Gemeinschaft aber kann ebenfalls niemals der Einzelne sich seiner Mitverantwortung entziehen.


Nationale soziale Ungleichgewichte


Eine solche staatliche Schicksalsgemeinschaft ist dann nicht mehr sozialgerecht, wenn einer materiell befriedigten bis satten Mehrheit ein beachtlicher Anteil von Bürgern in unmittelbar drohender oder in unmittelbarer sozialer Not gegenüber steht.

Ein solcher Staat ist weiterhin dann nicht sozialfriedlich, wenn individuelle Sicherheiten, und zwar infolge innerer sozialer Instabilität, zum Privileg eines zunehmend kleineren Bevölkerungsanteils wird.


Soziale Ungleichgewichte im globalen Kontext


Eine solche staatliche Gemeinschaft ist schließlich in der Gesamtheit aller Staaten nicht tragbar, wenn ihre Bürger einen unverhältnismäßig höheren Lebensstandard genießen, während der überwiegende Teil der Bürger aller Gemeinschaften in Armut bis existenzieller Not leben.