Abwärts leben – Leseprobe 4

Auszug aus:

Vielerlei Wege, zu schlucken

Nach den Flitterwochen holte mich der Alltag gleich knüppeldick ein.
Mein Kollege hatte gekündigt – und ich stand mit der Disposition wieder allein da! Nichts Ungewöhnliches. Denn dass ich der Einzige war, der die Stellung eisern hielt, während andere Disponenten kamen und gingen wie die Zugvögel, das war ja schon Gewohnheit. Und so nahm ich die Botschaft sehr gefasst auf…
Ich war morgens wieder der Erste – und abends der Letzte.
Parallel dazu aber wuchs das Unternehmen immer weiter.
Unsere Chefs erweiterte den eigenen Fuhrpark Schritt um Schritt – mit schnellen
und großen Schritten. Wir bekamen weitere Kies- und Zementzüge und sogar eine weitere Beton-Förderpumpe. Dem lag eine wohl abgestimmte Kalkulation zugrunde. In erster Linie sollten die Fremdspediteure weniger in Anspruch genommen und deren Gewinne „im eigenen Laden“ gehalten werden. Eine Strategie, die in modernen Zeiten des mithin totalen Outsourcings kaum nachvollziehbar erscheint. Dabei muss man aber berücksichtigen, dass heute nicht großzügig Gewinne anderen überlassen werden – sondern in erster Linie unternehmerische Risiken ausgelagert werden.
Dereinst war der Preis für Subunternehmer relativ deutlich höher als heute. Und so lohnte sich jedes Fahrzeug, das zwar auf unsere Kosten, aber auch unter unserem Namen lief – und am Ende mehr Gewinn eintrug. Wir hatten die zu geringe Auslastung nicht eines einzigen Fahrzeugs zu beklagen. Unsere Chefs hatten schon sehr gut und genau beobachtet, zu welchem Zeitpunkt die Investition in den eigenen Fuhrpark sich praktisch risikofrei amortisieren würde.
Dazu wiederum trug die Gesamtlage in Deutschland bei. Zunächst mochte man gar nicht so sicher ausmachen, ob die Übernahmen kleinerer Betonunternehmen und die Zusammenschlüsse mit glaubwürdigen Wettbewerbern nicht eigentlich Angstläufe meiner Chefs waren: Bis der Markt einknicken würde, musste die Konkurrenzsituation überschaubar sein. Und dass der Markt einknicken würde, damit mochte man rechnen, denn in den 50er und 60er Jahren war Deutschland endlich und weitestgehend wieder aufgebaut. Dass der Markt seine Sättigung erreicht haben und die Luft bald dünner werden würde, erschien absehbar.
Aber auch in den 70er Jahren riss der Bauboom nicht ab. Im Gegenteil.
Von diesem Boom ließ sich nun spielend mehr abschöpfen, indem man den eigenen Fuhrpark erweiterte, den Subunternehmern weniger Fuhren zuteilte – und doch gleichzeitig ihre Kapazitäten für die weitere Expansion wie ein Ass im Ärmel wusste.
Es mag wohl ein Fehler gewesen sein, dass ich mir nicht klar machte, weshalb ich unter meiner Arbeit immer mehr erstickte. Während nämlich meine Chefs die Lage sehr gut analysierten – so muss ich mal unterstellen, wenn sie nicht bloß einfach Glücksritter waren – machte ich nur meine tägliche Arbeit. Endlich schien ich mein Tagwerk nicht mehr bewältigt zu bekommen, wenn nicht Hanna in ihren Mittagspausen abgearbeitet hätte, was bei mir sonst gnadenlos liegenblieb.
Und so blieb mir am Ende ein schlechtes Gewissen. Ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Chefs: Da ich ja offensichtlich meiner Arbeit nicht gewachsen war. Und diese innere Dankbarkeit, dass sie mich dennoch weiter beschäftigten! Ein schlechtes Gewissen Hanna gegenüber: Die ja plötzlich ein unentbehrlicher Teil meines unzulänglichen Systems geworden war. Am Ende sogar ein schlechtes Gewissen gegenüber einem anderen Kollegen: Ein Kollege, der schließlich auch mein bester Freund werden sollte, nahm mir häufig Arbeiten ab, obgleich er – als Mitarbeiter im Verkauf – damit gar nichts zu tun hatte.
Trotz allem: Mein Job als Disponent machte mir Spaß.
In diesem Job und unter diesen Rahmenbedingungen zu überleben hatte so beiläufig auch noch etwas Heldenhaftes. Während andere Disponenten hier kamen und gingen wie die Jahreszeiten, während andere Disponenten hier gediehen wie eine stürmische Frühjahrsblüte, und während sie verausgabt eingingen, ehe es Sommer wurde… blieb ich standhaft dabei.
Virtuos zog ich an den Fäden und jonglierte mit den Bällen. Bisweilen musste ich mir solche Bilder aufrufen, damit sich das alles noch gut und abenteuerlich anfühlte, was mich nichts auf aufrieb mit der Zeit…

Es war schon zwei Uhr durch, als ich endlich ins Bett kroch. Hanna regte sich ein wenig, schien aber nicht richtig wach zu werden. Ich hätte mir gewünscht, von Hanna nun interessierte Fragen zu hören, Mitleid zu ernten – Halt zu finden. Einfach: Halt. Und Trost. Und andererseits war ich froh, dass ich sie mit meiner späten Heimkehr nicht geweckt hatte.
Zugleich auch war ich froh, dass sie keine Fragen stellte. Ich war erleichtert, mich jetzt nicht offenbaren zu müssen – und wusste doch, dass ich nichts würde verbergen können.
Unter Tränen gestand ich Hanna am nächsten Morgen…
Es war noch spät am Abend gewesen, als ich den Wagen vor unserem Haus zum Stehen brachte. Ich brauchte ein wenig Zeit, in der der Motor nachlief, bis ich den Autoschlüssel greifen und abziehen konnte. Ich brauchte eine Pause, um mich zu besinnen. Dann schwenkte nach links hinüber, gegen die Autotür gelehnt, und fingerte benommen nach dem Türöffner. Klock. Die Tür ging auf. Ich wippte bedenklich nach links, weil mir plötzlich der Halt entglitt. Dann schwang ich die Tür auf. Ich setzte schon einmal meinen linken Fuß auf schwankenden Boden.
Da stellten sich mir plötzlich zwei Beine in den Weg. „Oh, nein“, dachte ich, „jetzt nicht mein Vater! Der müsste doch längst schlafen! Verdammt.“ Ich hatte jetzt wirklich keine Lust auf ein Donnerwetter von ihm. Zu nachtschlafener Stunde. Und auch noch auf offener Straße!
Ich gab mir große Mühe, um meinen Kopf allmählich zu ihm hinauf zu bewegen, während ich noch auf dem Autositz saß, den Autoschlüssel in der rechten Hand. Das Lenkrad noch warm von meinen Händen, der Motor noch warm vom Fahren. Ich sah:
Eine Uniform.
Selbst das schummerige Straßenlicht verbarg nicht mehr das Grün der Uniform. Der Schock drang durch, trotz der Betäubung. Der Film, der in meinem Kopf ablief, war dramatisch – so gut konnte ich dann doch noch denken. Das Drehbuch, nach dem es nun weiter ging, war verhängnisvoll und logisch. Meine armselige Statistenrolle in diesem Leben flammte mal kurz und wenig ruhmreich auf zur Hauptrolle.
Ich musste erkennen, dass der Mann in der Uniform mir nicht freundlich gesonnen war. Ich stieg also aus und wahrte Haltung – so gut das noch ging. Die Uniform wickelte das gängige Ritual ab: Fahrzeugpapiere, Führerschein – bitte. Ich bildete mir standhaft ein, mich vollkommen unauffällig zu verhalten und zu bewegen. Ich sprach möglichst wenig, denn wenig Text, so wähnte ich, würde auch verbergen, dass ich „ein wenig“ über den Durst getrunken hatte. Ein wenig Trotz gegenüber der Polizei war schon obligat – aber deshalb gleich auf übermäßigen Alkoholkonsum zu schließen, das war dann nur noch dreist!
Es half nichts: Die gefürchtete Frage war nicht mehr zu verhindern, ob ich damit einverstanden sei, einmal „ins Röhrchen zu pusten.“
Der Nebel in meinem Hirn hatte mir eine Kreativität verliehen, unter deren Einfluss ich meine tatsächlich Lage nicht etwa vollkommen falsch einschätzte – ich schätzte sie gar nicht mehr ein… Schade, dass er nicht gesagt hatte: Blasen Sie mal! – dachte ich nur. Hätte ich sagen können: Wem? Hätte er gesagt: … oder was!
Zynischer Eifer sollte mir noch hinlänglich zum Katzenjammer mutieren.
Im Hintergrund entdeckte ich seinen Kollegen. Es war nicht zu übersehen, dass der sein hämisches Grinsen kaum zu unterdrücken wusste.
Ich hätte einwenden können, ich sei nicht einverstanden. Am Ergebnis hätte das nichts geändert. Dass ich gerade aus der Kneipe gekommen war, dass ich getrunken hatte, dass ich wahrscheinlich sogar zu viel getrunken hatte… all das wusste ich selbst und viel zu gut. Mit welchem guten Argument hätte ich mich der staatlichen Gewalt nun widersetzen sollen?
Also willigte ich widerwillig ein. Ist eine durch solche Umstände erzwungene Einwilligung tatsächlich eine gültige Willenserklärung? Staatsmacht hin und Demokratie her? Es änderte nichts. Und so ergab ich mich – diese Haltung war ich ja gewohnt – dem mir hübsch und gebrauchsfertig präsentierten freien Willen.
Ich pustete ins Röhrchen. – Mir fuhr der zweite Schock in die Glieder. Zwei Promille! Ein verhängnisvolles Weder-Noch: Weder etwas, das mich hätte entlasten können, noch etwas, auf das ich stolz sein konnte. Und weit jenseits jeden Zweifels.
Die staatliche Gewalt rang mir ein weiteres „Einverständnis“ ab: „Sind Sie damit einverstanden, dass wir Sie mit auf die Wache nehmen? Wir müssten einen Bluttest durchführen lassen.“ „Was? Ein…?“ ich stammelte nichts Konkretes mehr hervor und war fassungslos ob des wohl bekannten Automatismus, der nun anrollte. Sollte ich mir etwa Hoffnung machen, dass ein Bluttest mir 0,79 Promille attestieren und mir so den Hals aus der Schlinge retten würde? Und: Konnte ein „Röhrchen“ um ein so Vielfaches stärker irren als ich selbst?
„Mit auf die Wache nehmen“ war wörtlich gemeint. Als ich meinen Führerschein wieder zurück haben wollte, glitt meine Hand ins Leere: „Den behalten wir erst einmal…“ „Wir“ hatte ich ihn sagen hören. Dieser Schnösel maßte sich an, den Pluralis majestatis zu verwenden! Kommt das ganz von selbst, wenn man sich andient, dem Gesetz jene Macht zu verleihen, die man nüchtern Staatsgewalt nennt?
Dass er mir meinen Führerschein nicht wieder zurückgab, war schon ein Eingriff in meine persönliche Freiheit, den ich schon hinlänglich drastisch fand. Aber mit jener Formulierung bäumte sich der Schnösel einmal mehr vor mir auf – und machte mir klar, dass ich von nun an oder zumindest vorläufig nichts als ein Würmling war vor Recht und Gesetz. Und dass mir ohnehin keine Wahl mehr blieb. Noch also folgte ich vernunftbegabt der Zwangsläufigkeit, die nun nicht mehr aufzuhalten waren.
Auf der Wache ließ ich mir – selbstverständlich „freiwillig“ – Blut abnehmen. Dann erstellte man ein Protokoll, las mir vor und fragte mich, ob ich mit allen Formulierungen einverstanden sei… Ich konnte nur beobachten, wie man mich – einen freien Bürger in einem freiheitlichen Staat – zum Schafott führte. Aller Widerstand war zwecklos: Natürlich war ich „einverstanden“.
Ich fand mich irgendwo zwischen entmündigender Fürsorglichkeit, bürokratischer Teilnahmslosigkeit und Menschen verachtender Überheblichkeit als Spielball wieder. Dabei flog ich wie ein Flummi hin und her zwischen den Zwangsläufigkeiten – und fühlte mich, ziellos, scheinbar unbestimmt umhertrudelnd und wenig dynamisch wie ein schlaffer Fußball auf nassem Gras.
Endlich bäumten sich in mir Wille und Kraft zum Widerstand gegen dieses Theater auf, in dem man mich behandelte, als hätte ich nur die Rolle eines Komparsen zu erfüllen, der gerade etwas störrisch und schlecht parierte. Dabei hätte ich als Darsteller in der Hauptrolle etwas mehr Respekt erwarten können!
„Ich bin britischer Staatsbürger!“ brüllte ich endlich, befahl meinem Körper einen Ruck, mit dem ich jeden Muskel anspannte und meine Körperhaltung straffte. Am liebsten wäre ich aufgesprungen. Aber dazu fehlte mir der Mut. Zu viele Augenpaare der Staatsgewalt waren auf mich gerichtet. Wer weiß, wozu die Staatsgewalt bereit gewesen wäre. „Ich bin Untertan ihrer Majestät! Der Queen!! So können Sie mit mir nicht umspringen!“
Ich erreichte das Gegenteil dessen, was ich hatte erreichen wollen: Ich erheiterte die deutsche Staatsgewalt. Die Polizisten waren so freundlich und respektvoll, mich nicht auszulachen. Ihr Grinsen, auch mal ein verzweifeltes Glucksen, konnten sie nicht unterdrücken. Vor allem aber: Kein Einlenken der Staatsgewalt. – Ich beschloss eilends, die Queen besser nicht noch tiefer mit in diese armselige Angelegenheit hineinzuziehen. Ich schwieg.
Am Ende hatten die Polizisten, was sie brauchten. Und ich stapfte zu Fuß nach Hause…
Es war schon zwei Uhr durch, als ich endlich ins Bett kroch.
Am nächsten Morgen ging ich zu Fuß zur Arbeit. Hohn und Spott schlugen mir schon entgegen. Einmal ganz abgesehen davon, dass mir die Schadenfreude der liebenswerten Kollegen bis tief ins Herz stach, konnte ich mich wundern, dass alle schon Bescheid wussten, ehe mich überhaupt einer gefragt hatte, weshalb ich zu Fuß war. Hätte ja auch, so grämte es mich, sein können, dass einfach bloß mein Auto gestreikt hatte! Aber nein. Es gab niemanden, der Fragen hatte. Wer hier noch fragte, der fragte, um mich zu foppen.
Nun sprechen sich natürlich die betrüblichsten und ärgerlichsten Angelegenheiten in der Welt schneller herum, als selbst die erfreulichsten! Das muss am starken Drang des gebeugten Menschen zur Schadenfreude liegen. – Aber woher nur wussten sie alle bereits bescheid? Ich zermarterte mir vergeblich den Kopf, was es damit auf sich haben mochte. Aber mehr noch beschäftigte mich mein Ärger darüber, dass die Kollegen an diesem Tage von mir nicht lassen mochten. Begegnete man sich sonst mit einem knappen „Hallo!“ oder einem stummen Blick, so setzte es nun gleich wieder einen fiesen Stich, einen herben Schlag – einen dummen Spruch, der von Schadenfreude nur so troff.
Tage später erzählte mir der Neue im Verkauf – jener Freund, der er mir werden sollte – was es auf sich hatte mit dieser vorauseilenden Schadenfreude […]

Abwärts leben – Leseprobe 3

Auszug aus:

… wie ein Engel des Friedens

[…]
Eine Woche nach dem Umzug gab es die große Einweihungsfeier. Die halbe Verwandtschaft war eingeladen.
Die Feier ließ sich gesittet und geziemt mit Kaffee und Kuchen an. Jeder saß an seinem Platz: Meine Mutter bot in schöner Runde, in adretter Förmlichkeit und so recht wie in einer Bewirtung, ihre hübsche und mit Anstand zelebrierte Kaffeetafel. Danach löste sich die Tischordnung auf, die Gesellschaft wurde feucht-fröhlich und ausgelassen. Ein deftiges Abendessen steigerte endlich den Durst und befeuerte das hemmungslose Besäufnis einiger Herren. Mein Vater: einer von ihnen.
Der jüngste Bruder meiner Mutter, eine trinkfeste Frohnatur und hemmungslose Unterhaltungskanone, mimte den Alleinunterhalter und ersparte meiner Mutter mit derbem Humor keine Peinlichkeit. Als später auch noch die älteste Schwester meiner Mutter hinzu kam, lockerte die Runde auf, weil dem jecken Onkel nicht mehr die alleinige Aufmerksamkeit galt: Diese Schwester – gerade erst verwitwet – zog mit ihrem Bruder gleich und erlaubte sich keine Ladehemmung.
Die Erwachsenen waren dabei unter sich – ich hielt mich am Rande auf, um wenigstens keinen Kalauer zu versäumen. Ich hatte zwar meinen Spaß, aber es entging auch nicht meiner Aufmerksamkeit, dass mein Vater irgendwann stillschwei- gend seinen Rivalen gefunden hatte. Während mit steigendem Alkoholgehalt der geselligen Runde der Gehalt der Späße abnahm, kochte mein Vater unter der Maske des lachenden 100-Kilo-Brockens langsam auf…
Uneröffnet und niemals erklärt hatte er den Wettkampf aufgenommen mit dem jüngsten Bruder meiner Mutter, der – wahrhaftig trinkfest – ohne Maß und Anzahl alles in sich hineinkippte. Und während er als Kabarettist und Alleinunterhalter immer weiter aufdrehte, bekam er gar nicht mit, dass er meinem Vater zum gehetzten Hasen in einer absurden Jagd geworden war. Als meine Mutter – besorgt um die angemessene Fassung des Hausherrn und Gastgebers – irgendeine Bemerkung bei meinem Vater fallen ließ, die ich mir schon zusammenreimen konnte, da zogen die ersten Wolken, gallig-grün angelaufen, in schwerem Blaugrau am Horizont auf, von denen keiner der Gäste irgendetwas ahnte.
So allmählich verabschiedeten sich die Gäste. Ein unabgesprochener Konsenz unter den noch Geistesgegenwärtigen löste die Feier plötzlich auf, ehe bei einzelnen die Toleranzfähigkeit gegenüber Alkohol überschritten sein würde… So mancher nahm volltrunken Abschied. Der jüngste Bruder meiner Mutter hatte die größten Schwierigkeiten, die steile Treppe in der zugedachten Weise hinunter zu kommen. Aber auch der kam schließlich und irgendwie heil unten an. Die letzten Rücken waren fortgewunken, die Haustür fiel ins Schloss.
… und die Dämme brachen.
„Versager!“ „Schlappschwanz!!“ „Nichtsnutz!!“ Ach, was war ich nicht alles – aber nichts Brauchbares. Wie Granatsplitter – so fühlte es sich mir an – flog uns alles um die Ohren, was meinem Vater an Wohlbekanntem einfiel. Was hatte sich da nicht alles aufgestaut, was ja nun eindeutig auf meine Schlappe während des Umzugs zurückging?! Und das war eine Woche her!
Was muss es in ihm genagt und gefressen haben, eine Woche lang. An jenem Tage und eine ganze Woche lang hatte er kein Wort darüber verloren, keine Rage darüber ausgetobt. Und nun war ich… Ach was: Nun waren wir, meine Mutter genauso wie ich, wie vor den Kopf gestoßen ob dieses tosenden Gewitters, so heillos aus heiterem Himmel.
Wie mochte das Fraßbild aussehen in seinem Kopf? Mit ansehen zu müssen, wie seinem Sohn dieses lange, sperrige, nicht einmal so schwere Teil aus den Händen glitt, das für ihn wahrscheinlich nicht mehr gewesen wäre als eine dürre Zaunlatte. Mit anzusehen, wie ich wahrscheinlich mit irrwitzig entsetzter Fratze der Hilflosig- keit noch zu halten versucht hatte, was nicht mehr zu halten war. Sein Sohn? Der doch so gar nicht nach seiner Art geschlagen war. „Der ist nicht von mir!“ Dieses Mal sagte er es nicht. Ich hörte es dennoch abermals.
Neeein! Nicht mehr. Nicht mehr! Nicht mehr, nicht mehr!!
„Geh mir bloß aus den Augen!!“ Niedergeschlagen und gedemütigt – erleichtert, der Tobsucht nicht mehr beiwohnen zu müssen – zog ich ab! Nicht ohne die wahnhafte Regung der Dankbarkeit, von ihm fortgeschickt zu werden, schlich ich mit gesenktem Haupt, mit leisen Schritten, so unauffällig wie möglich die Treppe hinauf und legte mich zu Bett.
Das setzte meine Mutter der direkten und alleinigen Attacke aus. Und ich begriff, weshalb dieses Mal ich so schnell abziehen durfte, ja, abziehen musste von der Bühne seiner Tobsucht: „Was fällt Dir eigentlich ein?! Zu kontrollieren wie viel ich trinke!?“ Zufrieden ob meiner Erkenntnis – Fassungslosigkeit zollte ich meiner Mutter – war mir nun klar, was der wahre Auslöser seines unhaltbaren Zorns war.
Und die Kartoffeln hatten nicht geschmeckt, die Würstchen nicht gereicht. „Was sollen die denn denken?!“ brüllte er. – Na, dieser Durchgedrehte bedachte wohl am wenigsten, was andere denken! – „Dass wir es uns nicht leisten können?“ Und schmetterte in halber Lautstärke, die noch heftig genug war, hinterher: „Noch zu geizig, ein ordentliches Büffet auszurichten!“ Wand erschütternd legte er nach: „Ist das denn zu viel verlangt? Während hier alle hart geschufftet haben?! Wenigstens was Anständiges zu Essen zu machen!? Und dass es auch reicht! – Aber meckern! Nichts als meckern! – Eine richtige Meckerziege“, wurde die Nachbarschaft weithin informiert, „ist aus Dir geworden! Nichts als eine Meckerziege!“
Nicht minder laut dröhnte seine Forderung nach Essen: Speck und Ei sollte meine Mutter ihm in die Pfanne hauen – er sei ja noch gar nicht satt.
„Biiie-tte…“ unter Tränen, „aber so hör doch bii-ttee… mit dem Geschrei auf!“ Halb erstickt flehte meine Mutter und machte sich daran, ihm befehlstreu Essen zu bereiten. „Willst Du denn hier auch als der Schreihals dastehen?!“ – „Dummes Zeug!!“ – „… biiie-tteee…“ gurgelte sie unter Tränen, die so schnell nicht mehr zu schlucken waren, wie sie flossen. – „Wer sagt denn so was!?“ gebrüllt. – „Neeeiiin“, ein letztes, klägliches Wimmern, schmolz ihre Hoffnung dahin wie eine Kugel Vanilleeis unter der sengenden Mittagssonne eines wolkenlosen Sommertages: Ihre Hoffnung, hier einen Neuanfang machen zu können. Ihre Hoffnung, hier nicht mehr wissen zu müssen um das Gequatsche der Nachbarn, das ja nun einmal – aller Miefigkeit von Gerüchten und aller Widerlichkeit von Maulzerreißen zum Trotz – stimmte.
„Tu uns das doch nicht an…“ gluckste sie, kaum verständlich, tief in der von Tränen und Rotz verschleimten Kehle, undeutlich und leise, eigentlich nur noch für sie selbst, nur noch zu sich selbst… Worte, die sonst mir galten. – ? – Worte, mit denen sie nun ihren Ehemann meinte! Ängstlich, verunsichert, zaghaft hinein gesprochen in diesen schmalen Spalt, der sich auftat zwischen der blassen Hoffnung, doch erhöhrt zu werden von ihrem Mann – und der fetten Furcht, doch bloß nicht gehört zu werden im jähen Zorn des Tyrannen.
Er hatte es gehört. Sein Zorn brandete wieder auf.
Von einem Haus ins andere gezogen – das Irrenhaus nahmen wir mit. Ein Irren- haus, abgeschirmt von der „normalen“ Gesellschaft, verrammelt, verriegelt, den Blicken entzogen, um den Bürger nicht zu verunsichern. Und wir? Waren verschreckt, verstockt, verstummt. Für jeden hörbar, jeder bekam es mit. Und wir? Lebten mitten drin: im Irrenhaus.
Der Wahn-Sinn tobte sich weiter aus, bahnte sich seine klaffende Furche durch den brüchigen Frieden dieser unserer seltsamen Familie. Wenigstens unser Wahn machte etwas Sinn – in dieser Schreckensherrschaft.
Unter halb trockenen Tränen, hilflosem Schluchzen und knabenhaftem Wimmern und Jammern verharrte ich auf meinem Zimmer. Ich horchte nicht dem Toben des Tyrannen. Ich horchte nicht dem Wehklagen der hilflosen Mütterlichkeit und zerbrochenen Weiblichkeit. Sondern es mochte mir gar nicht gelingen, all das nicht zu hören, was mich nun angeblich nichts anging. – Geflohen wäre ich am liebsten: Ich, nur ich allein, zurück in die alte Wohnung.
Nichts hatte sich geändert. Die Zäsur des Wohnungswechsels, die ich schon jetzt hasste, weil sie nichts bewirkt hatte. Eisenbahn weg, Hoffnung weg. Den Preis vorab gezahlt – und nichts dafür bekommen. Die teuerste Vase in Scherben war nichts dagegen: unbedeutend, gering, klein – nicht mehr erwähnenswert.
Als hätte es irgendetwas ändern können, so machte ich mir vor, meine Mutter mit diesem Schrecken nicht allein lassen zu können. Held, der ich war, suchte ich nicht mehr selbst den Schutz am Rockzipfel meiner Mutter, sondern suchte nach Solidarität. Held, der ich war: Was konnte ich tun für meine Mutter? War ich doch selbst diesem Vater ausgeliefert wie Naturkatastrophen. Nicht zu gehen, wenigstens, konnte ich tun. Nicht zu gehen gelang mir so. – Zu gehen gelang mir gar nicht.
Die dumpfe Mattigkeit schließlich holte mich ab aus Tränen und überließ mich unruhigen Träumen…
Der daran anschließende Sonntag hielt für meine Mutter und mich das ganze Pro- gramm bereit: Von einer unliebsamen Überraschung über die gängige Banalität, mit der dazu gehörigen Zermürbung, bis hin zu einem Geschenk des Himmels…
Die unliebsame Überraschung kam mannhaft aufgebaut daher, mit etwas un- sicherem Stand, mit geröteten Augen, den Blick glasig, die Pupillen eng und träge. Die Reaktionen und Bewegungen dieser ganzen Männlichkeit – nur leicht, aber unübersehbar – unbeherrscht. Ehe er die Treppe zu uns herauf kam, fragte er meinen Vater mit knabenhaft ausgelassenem Lachen, wie er denn nur diese steile Treppe gestern abend heil hinunter gekommen sei:
Der jüngste Bruder meiner Mutter – gestern noch Grund zur Sorge, er könne dem Koma erliegen. Eben dieser erinnerte sich ganz genau, dass da gestern bei der Fete die zweite Flasche Mariacron nicht leer geworden war. Zwar der eigene Bruder – aber dennoch kein Wunder – kam der Kerl meiner Mutter höchst ungelegen. Ich durchlitt den Besuch in böser Vorahnung. Mein Vater bat ihn herzlich herein: Nicht ausge- nüchtert, aber hinreichend angenüchtert, um die Herausforderung anzunehmen.
Mit dem schlichten Ziel, jene Flasche Weinbrand leer zu bekommen, setzten sich die beiden ganzen Kerle im Wohnzimmer nieder und machten sich daran, dem harten Zeug den Rest zu geben. Der eine knabenhaft unbedarft am sinnlosen Besäufnis interessiert – der andere ein steifer Gockel, der heillos bemüht war, aus einem Wettstreit als Sieger hervorzugehen, den nur er allein stritt. Und weil Weinbrand wohl doch irgendwie recht trocken sein muss, kostete dieses merkwürdige Freundschaftsspiel im Gleichklang des Zuprostens auch noch vier Flaschen Bier.
Die Männer tranken miteinander und schwiegen miteinander. Das wenige, das sie austauschten, war belanglos und entbehrlich. Aber sie hoben – das verband sie in idyllischer Brüderlichkeit – seltsam synchron die Gläser…
Ich hielt mich vom Wohnzimmer fern. Die flüchtigen Blicke, die ich hineinge- worfen hatte, blieben hoffentlich unbemerkt. Ich verweilte die meiste Zeit auf meinem Zimmer, trollte mich später einmal zu meiner Mutter in die Küche, die unser Mittagessen zubereitete. Die wenigen Worte, die wir wechselten, waren bedeu- tungslos. Bedeutungsvoll waren die stummen Blicke, die wir kreuzten: bedeutungsvoll unsere Angst darin.
Als das Pensum erledigt, die Flasche geschafft war, zog mein Onkel ab, meine Mutter tischte das Essen auf… und das Unheil nahm erneut seinen Lauf.
Das aussichtslose Kräftemessen mit dem spielend Ebenbürtigen hatte meinen Vater heillos gereizt – nun, das Kräftemessen mit den aussichtslos Unterlegenen, brachte ihn in Rage. Ohne Grund und ohne Anlass, ohne Widerstand, an dem er sich reiben, ohne Kerben, in die er schlagen konnte, erfand sein Hirn im Wahn Gründe, die seine Raserei nährten.
„Die Suppe schmeckt ja wieder gar nicht.“ Noch grummelig und leise.
„Wo sind denn Deine einstigen Kochkünste geblieben? Du gibst Dir gar keine Mühe mehr!“ Schon gedonnert. – Und so nahm das Unheil wieder seinen gewohnten Lauf.
Der bloße Nachhall seiner Stimmgewalt war uns Drohung genug: Ich wagte nicht mich zu rühren, nur schweigsam zu essen. Nur ja den Blick des Vaters nicht kreuzen! Meine Mutter zitterte in ihrer Angst vor jedem nächsten Tun. Obgleich wir gewohnheitsmäßig wussten, dass es gerade erst begonnen hatte und jetzt auch grundlos weitergehen musste: Man lernt, grundlos zu hoffen.
„Und die Kartoffeln schmecken irgendwie ganz komisch!“
„Komisch“, dachte ich bei mir, „schmeckt vielleicht alles, wenn man so viel Hochprozentiges gesoffen hat.“
„Und das Fleisch ist viel zu zäh!!“ schnodderte er weiter.
Dann plötzlich in schmerzender Lautstärke: „Den Sau-Fraß kannst Du den Schweinen verfüttern!“ Angewidert schmatzend schlang die Fleisch gewordene Gewaltandrohung den bloßen Nährwert hinunter.
Hatte ich den mal vertrauensvoll „Papa“ genannt?
„Und Du!“ bellte dieses Monster mich an. „Hast Du Dein Zimmer aufgeräumt? Oder muss Deine Mutter wieder für Dich aufräumen!?“ Wieder? Was war das nun? Meine Mutter hatte noch nie für mich aufräumen müssen! Dachte ich nur. „Jaaah!“ maulte ich. „Hab ich.“ Scheißkerl, verdammter, dachte ich.
„Und? Was ist mit der Berufsschule!? Hast Du die Hausaufgaben gemacht?“ donnerte er mich an. Seit wann interessierte ihn das? Wenn das Ergebnis nicht stimmte, dann rastete er aus. Aber jemals auf dem Wege zum Ziel zu fragen, ob ich klar kam, ob ich Unterstützung brauchte, ob er würde helfen können: Niemals auch nur gedacht! „Ja‘-haa!“ nickte ich – zugegeben: unüberhorbar angenervt. Und erschrocken ob der eigenen Provokation schob ich schnell nach: „Hab ich alles fertig!“ – „Scheißkerl!!“ dachte ich.
„Kannst ja wenigstens vernünftig antworten, wenn Du ordentlich gefragt wirst!“ tobte er auch gleich. – „Ordentlich gefragt?“ schoss es mir unwillkürlich durch den Kopf, „hab ich nicht mitbekommen!“ – „Maul mich nicht so von der Seite an! Wofür hälst Du Dich eigentlich?! Bursche!!“
So ging die obligatorische dreiviertel Stunde um. Und auch wenn das Gewitter dann vorüber war: Als ich mich nachmittags mit dem Fahrrad aufmachte zu meiner Großmutter, da fühlte es sich gut an, der dicken Luft daheim zu entrinnen. So ganz beiläufig ließ sich so auch die Zeit bis zur Bescherung überbrücken, die uns erwartete. Es war nicht Weihnachten. Und ich ahnte noch nicht einmal etwas von dieser Bescherung…
Meiner Oma klagte ich unser Leid mit dem Haustyrannen. In aller Ausführlich- keit zeichnete ich die frischen Eindrücke von den gestrigen und heutigen Ausfällen meines Vaters nach. Geduldig hörte meine Großmutter zu – und konnte doch so wenig ausrichten wie ich selbst. „Hach, ja, mein Junge“, klagte meine Oma kraftlos, „ich kann ja nur auch gar nichts machen…“ Die Augenbrauen verzweifelt und hilflos hochgezogen, den Blick zu Boden gerichtet. „Ach, Oma“, seufzte ich bescheiden und nur nochresigniert, „ich bin ja schon froh, dass ich mal mit jemandem darüber sprechen kann!“
Und so endete mein Besuch bei der Oma so ergebnislos, wie das ganze Verharren unter den unberechenbaren Launen unseres ach so liebenswürdigen Familien- oberhauptes fruchtlos war. Dennoch hatte es erleichtert, dem Herzen mal für ein paar Momente diese Last des Schweigens, des stummen Schluckens, des starren Hinnehmens genommen zu haben.
Zeitig zum Abendbrot war ich wieder Heim.
Ich trollte mich zu meiner Mutter in die Küche, die mit letzten Handgriffen kurz davor stand, zu Tisch zu rufen…
… da ging die Türglocke.
„Mmh?“ ging der fragende Blick meiner Mutter zu mir herüber. Ich antwortete mit einem gedehnten Schulterzucken. Zaghaft fragte sie ins Wohnzimmer hinein, ob mein Vater noch jemanden erwarte. – „Nein“, murmelte der nur kurz angebunden in die Kehle hinein und sah dabei nicht einmal vom Fernseher auf. – „Gehst Du denn mal?“ fragte meine Mutter mich.
Ich öffnete – und der Nachbar aus der Parterrewohnung unter uns stand vor der Tür. Er bat mit knapper und korrekter Freundlichkeit um Einlass. „Ich möchte das ungern auf dem Hausflur besprechen. – Darf ich denn einmal das Familienoberhaupt sprechen?“
Ich ging also zur Wohnzimmertüre und bat meinen Vater herbei, blieb dann selbst am Ende des Korridors stehen und harrte der Dinge. Mit auf dem Rücken verschränkten Händen grüßte der Nachbar meinen Vater gleich von Ferne sehr förmlich und kurz angebunden – und machte keinen Hehl daraus, dass er ihm die Hand nicht reichen würde. Er fackelte nicht lang herum: „‘n Abend, der Herr. Entschuldigen Sie die abendliche Störung… Gegen eine Fete hab ich ja mal nichts einzuwenden. Kann dann auch ruhig mal ‘n bisschen lauter werden. – Aber dieses Geschrei bis mitten in die Nacht verbitte ich mir ganz entschieden! Und heute Mittag war es ja auch nicht gerade leise!“
Ich glaube, unwillkürlich zuckten meine Mundwinkel aufwärts: Nicht, dass mir nach Lachen zumute war – eher hatte ich Angst, dass mein Vater wieder einmal die Beherrschung verlieren würde. Aber ich hatte doch eine diebische Freude daran, meinen Vater sprachlos zu erleben.
„Ich kann Sie nur bitten“, klang es mit unüberhörbarer Schärfe noch geboten freundlich, „diese Unannehmlichkeiten abzustellen! Andernfalls müsste ich die Genossenschaft informieren! – Und das würde dann für Sie nicht so gut aussehen…“ Innerlich zog ich den Hut vor diesem Mann und erbot ihm meine Achtung: Endlich mal einer, der sich traute, meinem Vater offen, Auge in Auge, die Stirn zu bieten.
„Ja, wissen Sie… Ja, selbstverständlich. Nein, das wird nicht mehr wieder vorkommen. Ganz sicher. Das war nur… wir hatten…“
Nicht weniger förmlich und distanziert, als er angegrüßt hatte, schnitt unser Nachbar meinem hilflos stammelnden Vater die überflüssigen Worte ab: „Ja, dann… wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend! – allerseits.“ Der Herr nahm die Wohnungstüre schon selbst in die Hand und trat wieder hinaus.
Eilfertig huschte ich an meinem Vater vorbei und zischte in die Küche, um meiner Mutter irgendwelche Handgriffe abzunehmen. Ich hätte mich niemals getraut, meinem Vater in diesem Moment einen Blick zuzuwerfen, ja nur seinen Blick zu streifen – aber es hätte mich nicht gewundert, wenn ihm – die Kinnlade nur noch hängend, den Mund offen – die Sprachlosigkeit als leicht dahin skizzierte Fratze ins Gesicht geschrieben war.
„Danke, danke, danke!“ dachte ich bei mir, „dass da endlich einmal jemand war, der meinem Vater zeigte, dass man auch ohne dicke Muskeln und ohne stimmgewaltiges Gebrüll stärker sein konnte als er.“

Abwärts leben – Leseprobe 2

Auszug aus:

Tage der Freude und des Feierns

[…]
Wenn ich sonntags zu keiner Messe eingeteilt und daheim war, oder wenn ich schon früh zurück war vom Messdienen, dann ging ich schon um zehn zum ersten Mal zum Kramladen, um für meinen Vater eine Flasche Bier zu kaufen. Ich lief auch ein zweites und ein drittes Mal. Und die zwei Gläschen Weinbrand, die mein Vater sich zwischendurch genehmigte, bauten jenen Pegel auf, den er brauchte, um diese Beherrschung zu verlieren, die ihm „draußen“ so hohes Ansehen einbrachte. Kleinig- keiten waren es dann, die ihn zur Raserei brachten. Für uns war nicht vorhersehbar, was es sein würde – und das machte den Vater so unberechenbar, obwohl wir wussten, dass es an einem Sonntag wie an jedem Sonntage geschehen musste.
Oft auch war ich es, der mit Nachmittagswünschen zu sehr nervte. Wünschte ich mir doch bloß Eltern und einen Vater, wie andere ihn auch hatten: Einen Vater zu haben, der wenigstens am Sonntag ganz viel Zeit für sein Kind hatte. Statt stier und stumpf im Sessel zu sitzen und die Zeit eines solchen Tages durch bloße Ausdauer nieder zu ringen.
Mit derselben Regelmäßigkeit hätte man die Uhr danach stellen können: Mein Vater brauchte eine dreiviertel Stunde. Eine dreiviertel Stunde Toben, Brüllen, Schreien. Körperliche Attacken – schubsen, ziehen, in die Ecke schleudern. Keine exzessiven Prügeleien, an denen er sich abreagiert hätte – immer nur stakkatoartige Übergriffe. Auch das machte diese Ausbrüche meines Vaters noch einmal unberechenbarer.
Sonntage, die andere ersehnten und genossen als Tage der Ruhe und als Tage von Familienleben. Für uns der reine Psychoterror.
Für uns war es ein Leben unter Angst. Unter ständiger Angst – die man, lebt man nur stets darin, als Druck gar nicht mehr wahrnimmt! Es ist einfach so. Und es war so, dass es ihm offenbar so etwas wie Frieden bot. Er trank sich hinein, er tobte sich hinaus – und war danach vollkommen ruhig. Er saß dann meist vor dem Fernsehgerät und ließ die Zeit verrinnen. Das Familienleben, das Leben mit einem Sohn und das Leben mit einer Ehefrau rannen an ihm vorbei – das schien ihn nicht einmal zu berühren. Schließlich hatte er seinen Frieden. So schien es.
Nach seiner Attacke hatte ich „frei“. Ich konnte zum Besispiel mit dem Fahrrad fahren, wenn ich wollte. Ich wählte dann fast immer dieselbe Strecke. Ich klapperte die Großeltern, Onkels, Tanten ab und kehrte wohl verrichteter Dinge heim. Manch- mal wurde mir auch Jugendkino erlaubt, oder am Sonntagstreffen der Jungschärler teilzunehmen. Zu den Treffen der Jungschärler oder auch der Messdiener durfte ich übrigens oft auch noch zweimal während der Woche… aber sonntags war das eben etwas Besonderes.
Unter dem Druck der ständigen Angst und unter dem Druck der ständigen Kontrolle erschienen mir diese „Begünstigungen“ wie väterliche Großzügigkeiten und meinem Alter kaum angemessene Freiheiten. Dass andere in den Gruppen noch häufiger an diesen Treffen Teil nahmen, gab mir nicht zu denken.
Die Treffen der Jungschärler- und der Messdienergruppen boten mir Gelegenheit, Ausgleich zu suchen für die mangelnde Aufmerksamkeit meiner Eltern. Hier der Vater, der in der Woche hart schuftete – und an Wochenenden nichts als eine Bedrohung war. Hier also der Vater, der immerhin seinen Versorgungspflichten nachkam. Dort die Mutter – die neben ihrer nachmittäglichen Halbtagsstelle als Reinigungsfrau mit dem Haushalt ganz allein gelassen war, im Haushalt ihrer Eltern auch noch wenigstens das Gröbste machte, und die neben all dem die Heimarbeit für die Druckerei erledigte. Sie kann rückblickend betrachtet kaum Luft zum Atmen gefunden haben. Also erst recht nicht die Zeit für ein Kind.
Die Mutter in meiner Mutter erwachte, wenn ich den Attacken des Vaters aus- gesetzt war: Die Mutter in ihr erwachte, wenn wenigstens die einfachsten Be- schützerinstinkte aufgerufen wurden.
Ich kam ins vierte Schuljahr und bald stand die Erstkommunion bevor – ein Fest, das für ein Kind von großer Bedeutung und lange unvergesslich ist…
Die doch recht bescheidenen Verhältnisse unserer Wohnung führten im Rahmen dieses Festes – das ja nicht groß genug ausfallen konnte! – zu umfangreichen Veränderungen: Zwei Tage vor dem Fest wurde das elterliche Schlafzimmer in einen Speisesaal verwandelt. Meine Eltern nächtigten derweil notdürftig in meinem Zimmer. Und ich wurde ganz ausquartiert! – Ausgerechnet bei jenem Nachbarn fand ich Unterkunft, der sich bei mir durch die Auswirkungen seiner regelmäßigen Besuche einen Ruf erarbeitet hatte: Jener samstägliche Trinkfreund meines Vaters, mit einer Flasche Chantré in der Hand.
Dort ebenfalls unter bescheidenen Verhältnissen, nächtigte ich im „öffentlichen Raum“ des fremden Haushaltes: im Flur! Und bekam auf diese Weise mehr vom Leben des fremden Leute mit, als mir lieb war: Einen Morgen war ich gerade erst erwacht, als der Nachbar zur Toilette ging – splitterfasernackt. Ich sah sein gewaltiges männliches Glied baumeln – und konnte mir gar nicht vorstellen, dass mein Penis nur die niedliche, kindliche Version desselben Dings war, die also nicht so klein bleiben würde. Kurz darauf ging seine Frau zur Toilette. Ebenso unbekleidet: nackt, wie zuvor der Herr! Brüste sah ich da… von Größe und Gewaltigkeit, und mit jedem ihrer Schritte frei und gewichtig schwingend. Brüste, von denen ich bisher nur wusste, dass es eben zwei sind. Dass sie unter Blusen, Kleidern, Pullovern für Erhebungen sorgen bei den Frauen. Brüste, von denen ich bisher nur wusste, dass sie mit Scham und Anstand unter Kleidung verborgen werden. So hätte ich mir dieses stets peinlichst gehütete Geheimnis nicht vorgestellt.
Ich stellte keine Fragen. Ich fragte meine Eltern nicht, und niemanden sonst. Ich sprach nicht darüber, was ich gesehen, was ich nicht verstanden hatte. Was hätte mich erwartet? Vorwürfe, dass ich hingesehen hatte? Vernichtende Vorwürfe, dass ich meine Nase in die intimste Privatheit dieses Ehepaares gesteckt hatte? Falsche Anschuldigungen, ich hätte das bloßer Neugier getan?
Oder hätte mein Vater mir gar unterstellt, ich hätte mir das nur ausgedacht, um einen Keil zwischen ihn und diesen Freund zu treiben? Meine Fantasie hätte damals so weit niemals gereicht! Nicht im Traum hatte ich eine Vorstellung davon, wie der nackte Körper meiner Eltern ausgesehen haben mochte. Nacktheit war lediglich ein kindlicher Freiraum, den die Fürsorge der Mutter verlangte. Mit der Nacktheit des erwachsenen Körpers freizügig umzugehen, widersprach so sehr dem Konsens der Zeit – vor allem aber der katholischen Frömmigkeit und strengen Sittlichkeit, unter der ich aufwuchs – dass ich gar nicht auf die Idee gekommen wäre, mir einen erwachsenen Körper überhaupt nackt vorzustellen.
Diese Bilder hatten mich eiskalt und schlicht überrumpelt!
Schockiert, hilflos und allein gelassen blieb ich mit diesen Eindrücken zurück. Ich konzentrierte mich darauf, mich auf das Fest der ersten Kommunion zu freuen…
[…]

Abwärts leben – Leseprobe 1

Auszüge aus:

Der stinkende Atem des heimtückischen Todes

[…]
Zuletzt sprach ich an jenem Spätnachmittag in der Kneipe über Browny – und wie und warum sie hatte sterben müssen.
Das Fatale an einer Kneipe ist nicht der Alkohol, der dort ausgeschenkt wird. Das Fatale ist die Heimat, die man dort finden kann. Salopp gesagt: Man trifft dort Gleichgesinnte. Aber dann schlösse man darauf, dass – wer in die Kneipe geht – einfach nur den Alkohol in sich hineinbechert. Und das greift zu kurz…
Viele von denen, die in der Kneipe sind, verstehen den anderen Unglückspilz auch ohne Worte, weil sie ähnlich dran sind. Vielleicht will man gar nicht im Detail erfahren, was den anderen unglücklich macht: Vielleicht ist die Angst, an Gleiches oder nur Vergleichbares erinnert zu werden, viel zu groß. Aber man sieht, dass man gar nicht so allein dasteht. Und das reicht, um einfach nur beieinander zu sitzen.
An jenem Abend saßen wir nicht bloß beieinander und tranken miteinander – oder auch bloß nebeneinander, wie so oft. Schon als ich durch die Türe gekommen war, hatten mir alle angesehen… nicht, dass etwas mit mir nicht stimmte, sondern dass ich am Boden zerstört war.
Auch das wieder: Der Unterschied zwischen den „Gleichgesinnten“ und dem Rest der Welt! Sie fragten nicht vorwurfsvoll, sie fragten nicht, um anschließend gute Ratschläge zu erteilen, gut gemeinten Rat zu geben und selbsterprobte Lebensweisheiten zu verstreuen. Sie fragten, sie hörten, sie stießen mit an – und fühlten mit, weil sie es alle so oder ähnlich selbst kannten.
Das Verhängnisvolle am Alkohol – was wohlschmeckend oder bloß mit Gewöhnung beginnt – ist, das Alkohol am Ende einfach nur zerstört. Der Alkohol macht am Ende selbst das Wenige nur kaputt… was einen für eine gewisse und nicht unangenehme Zeit sogar noch aufgefangen hat.
Und dennoch auch dieses: Es ist nicht nur der Wechsel zwischen einem vollen und einem leeren Glas. Es ist nicht nur der Wechsel zwischen nüchtern und besoffen. Es ist nicht nur der Wechsel zwischen gesellschaftsfähig, angepasst und sozial integriert – oder unzurechnungsfähig, unangepasst und sozial verstoßen.
Sondern entweder bist Du zermürbt von einem Schmerz, den Du Dir meist selbst nicht erklären kannst – oder Dein Gleichgewicht ist gestört, die Fähigkeit zur Selbstkontrolle ist gestört… aber Du bist hinreichend betäubt, dass das Leben sich ertragen lässt. […]
[…]
Meinem Schwiegervater erzählte ich, ich hätte Browny in die Eifel auf einen Bauernhof gegeben, weil die Hündin immer eifersüchtiger auf Julia reagiert habe. Damit konnte dieser fanatische Tierliebhaber gut umgehen. Es war eine Fantasie, die sich schlüssig erzählen ließ. Es war ein Weg, der sich hätte finden lassen! Ich hatte hinreichend Freunde und Bekannte in der Eifel, über die sich eine solche Lösung hätte finden lassen! Das war ein Weg, den nicht gegangen zu sein ich mir selbst niemals verzeihen konnte. – Hanna verriet ihm die Wahrheit nie! Ihr Gewissen muss so schwarz gewesen sein wie fettiger Ruß.
Während der Hund nun nicht mehr in unserem Hause bellte, beherrschte das Bellen meines Vaters zunehmend das Haus: Er hatte immer häufiger markerschüt- ternde Hustenanfälle, er litt immer stärker unter Atemnot.
Als mein Vater dann doch endlich zum Arzt ging, war der über die beschriebenen Symptomen äußerst beunruhigt. Bestürzt war er darüber, wie lange sich das schon zog. Er horchte meinem Vater die Lunge ab… und ordnete sogleich für den nächsten Morgen eine Blutentnahme an. Gleichzeitig schrieb er meinen Vater schon einmal für eine Woche krank. So hatte mein Vater drei Tage später wieder einen Termin bei seinem Arzt, um sich den Befund der Blutuntersuchung einzuholen. Der Arzt hatte mit sachlicher Gelassenheit – um den Patienten nicht stärker zu beunruhigen, als ohnehin unvermeidbar – zur Eile gedrängt. Mein Vater gab sich gefasst…
… und verbreitete Daheim mit seiner Botschaft nur: Schrecken, Angst, Hektik.
„Ben!“ rief meine Mutter fast tonlos, während sie ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte und sich die Hand vor den Mund hielt.
Mein Vater saß da, auf den Tisch gestützt, kraftlos, innerlich ermattet – und konnte mit den Worten seines Arztes herzlich wenig anfangen. „Lass mal. Ich muss mir keine großen Sorgen machen, sagt der Doktor.“ Er machte sich große Sorgen. Es war ihm anzusehen. Kleine Sorgen sehen anders aus.
„Gute Heilungschancen, hat er gesagt.“ Mein Vater ließ den Satz wie beiläufig oder zufällig fallen. Dann sah er zu meiner Mutter auf. „Was soll mir das sagen? Morgen soll ich mich in einer Spezialklinik in Köln melden. – Schon morgen!“
„Was?“ erschrak meine Mutter, „gleich morgen?“
Meine Mutter startete hektischen Umtrieb. Zu allererst rief sie meine Lieblings- cousine an. Rita war Arzthelferin in einer Kölner Praxis. So ganz nebenbei verstand sie also auch noch etwas vom Thema. – Und ich konnte nur staunen, wie problemlos bei anderen Leuten die Arbeitgeber mitspielten, wenn plötzlich die Not rief: Meine Mutter hatte sie eindringlich darum gebeten, und so kam meine Cousine noch am selben Abend aus Köln zu uns her.
Das übliche Hallo und die überschäumende Wiedersehens-Freude waren über- schattet von einer Krankheit, die niemand kannte. Überschattet von einer Krank- heit, die anonym und diffus drohte. Überschattet von Ungewissheit.
„Hat der Arzt Dir die Unterlagen gleich mitgegeben, Onkel Ben?“ fragte Rita. „Dann ginge ja alles gleich viel schneller, als wenn er sie mit der Post an die Klinik schickt.“
Mein Vater reagierte mit Verzögerung – und wirkte dann, wie aus fernen Gedan- ken gerissen. „Ja… ja, ja. Er hat mir einen ganzen, großen Umschlag mitgegeben. Warte mal! Wo hab ich den?“
Der Umschlag lag auf dem Tisch. Mein Vater hatte ihn selbst dort abgelegt… und dann nicht mehr gesehen. Rita legte ihre Hand darauf und zog den Umschlag ein paar Zentimeter näher an sich heran: „Darf ich?“ fragte sie.
„Ja, ja. Natürlich!“ wunderte sich mein Vater etwas abwesend – und schob dann lächend nach: „Wer denn, wenn nicht Du.“
Ohne Hektik machte Rita den Umschlag auf, blätterte die Unterlagen durch, erwog, blätterte zurück und wieder hin. Dann sah sie meinen Vater an. Der starrte schon wieder durch die Tischplatte hindurch auf den Boden vor seinen Füßen. Also schaute Rita zu meiner Mutter: Mit großen Augen und skeptischer Mine gab sie meiner Mutter zu verstehen, dass nichts in Ordnung war – und gab meiner Mutter, was die jetzt so gar nicht brauchen konnte. Hektisch sprang meine Mutter auf: „Ach, entschuldige! Ich habe Dir noch gar nichts angeboten. Soll ich Dir eine Tasse Tee machen?“
„Ja, gerne“, antwortete meine Cousine nüchtern. Meine Mutter machte Wasser heiß, grub gedankenlos in ihren Schränken und fand nicht gleich, was sie suchte. Mein Vater hob den Kopf, sah zu Rita hinüber und fragte: „Und? Was steht drin? Kannst Du was damit anfangen?“
„Mach Dir keine Sorgen, Onkel Ben. Die Überweisung in diese Klinik ist reine Routinesache.“ Rita – so ausdrucksstark sie meiner Mutter allen Grund zur Sorge stumm zu verstehen gegeben hatte – sah meinen Vater vollkommen entspannt und freundlich an. Beruhigen – auch das gehörte zu ihrem Beruf. „Ein Hausarzt hat einfach zu wenige Untersuchungsmöglichkeiten. Dein Doktor will da nur lieber auf Nummer sicher gehen. Eine ganz normale Sache. – In Merheim ist eine Lungenklinik. Die haben gleich die richtigen Spezialisten und die richtigen Gerätschaften vor Ort…“
„Und? Du denkst, es hat nichts zu sagen, dass er gleich so mit der Zeit drängt?“ hakte mein Vater skeptisch nach. Er wähnte sich betrogen.
„Nein, nein. Ich glaube nur, dass er bei der Behandlung keine Zeit verspielen will, weil Du schon so lange mit der Sache zu tun hast“, ließ Rita sich nicht aus der Reserve locken. „Ich kann das schon verstehen. Das ist ja nun kein kleiner Husten mehr…“
Mein Vater hatte den Kopf noch immer ihr zugewandt. Sein Blick fiel enttäuscht auf die Tischplatte zurück. Noch einmal sah er Rita an, nur kurz. Dann drehte er den Kopf weg und starrte geradeaus ins Nichts. Er nickte stumm mit dem Kopf und presste die Lippen aufeinander. – Wollte nur einfach keine Ruhe einkehren in seinem Kopf? Oder wähnte er sich tatsächlich getäuscht?
Meine Mutter beschäftigte sich aufwändig mit dem Tee, stellte Milch und Zucker auf den Tisch – fragte Rita nicht einmal, wie sie den Tee trinken wolle – hetzte wieder zurück zur Arbeitsplatte, wischte hier einen Tropfen und dort nichts als Sauberkeit ab, griff zu einem Handtuch, das sie gar nicht brauchte, sah wieder nach der Uhr. In dieses hektische Treiben hinein, das meinen Vater so überhaupt nicht erreichte, wandte er sich plötzlich an meine Mutter und fragte: „Packst Du mir ein paar Sachen zusammen? Viel werde ich ja nicht brauchen… für ein paar Tage… so lang die Untersuchungen eben dauern…“
„Ja, Ben, natürlich. Ich mach das gleich noch. Dann können wir morgen früh ganz in Ruhe aufbrechen.“ Sie sagte es ruhig – doch ihre Stimme zitterte. Sie sah ihren Mann nicht an dabei. Sie warf es beiläufig in die Küche. Sie suchte nach Beschäftigung, nach Bewegung, nach themenfremden und gewohnten Abläufen – und fand fahrig hinreichend davon.
Meine Cousine übernachtete in unserem Gästezimmer. Am nächsten Morgen eine kurze Verabschiedung, ehe ich zur Arbeit fuhr. Ich umarmte Rita und bedauerte herzlich, dass wir nicht wenigstens etwas mehr Zeit füreinander gefunden hatten. Steif verabschiedete ich mich von meiner Mutter. Vollkommen verkrampft und unsicher gab ich auch meinem Vater die Hand. Ich hasste diesen verdammten Kerl. Hundert Mal mochte ich gewünscht haben, er solle verrecken! Aber da jetzt dräuend der Tod über ihm schwebte, obgleich niemand das auszusprechen wagte, zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Mochte es glimpflich ausgehen für ihn – damit ich verschont bliebe von diffusen Schuldgefühlen, die mich schon jetzt plagten.
Mit versteinerter Mine sagte ich, an meinen Vater gerichtet – seine Hand in meiner, Auge in Auge: „Alles Gute.“ Man sagt das so! Ich empfand nichts dabei. Mit einem schiefen Lächeln nahm er es zur Kenntnis. „Wird schon schief gehen“, betupfte er das eigene Nervenkostüm mit nichts als ungeweihtem Wasser, wo ihm Betäubungs- mittel fehlte. Vielleicht musste er in diesem Moment seine Nerven beruhigen, weil er spürte, dass der Faden gerissen war zwischen ihm und seinem Sohn. Welcher Vater tritt schon gerne ab, wenn er sich eingestehen muss, dass er am Ende nichts erreicht hat, als den eigenen Sohn zu verlieren?
Ich ging hinaus, ließ die Haustür hinter mir zufallen, schwang mich aufs Rad… und spürte nichts. Nichts als Härte. Nichts als Kälte. Nichts als Abscheu. – Nichts als Erwartungshaltungen, die mich quälten. Erwartungshaltungen, die mich drängten, meinen Vater zu herzen… in Gedanken, Worten und Werken. Nach allem, was gesche- hen war? Nach allem, was er niemals würde wahr haben wollen?
Früh fuhren Rita und meine Eltern nach Köln-Merheim. Rita fuhr. Mit Vaters Auto!
In der Klinik führte man meinen Vater auf ein Zwei-Bett-Zimmer, lies ihm nur ein wenig Zeit, sich mit den paar Habseligkeiten einzurichten, die er mitgebracht hatte, und trieb ihn noch am selben Tage durch mehrere Untersuchungen.
Als meine Cousine und meine Mutter die Klinik verließen, sprachen die zwei kaum ein Wort miteinander. Für Rita waren solche Situationen ein Teil der Arbeits- routine – und sie verstand es, sich auf die Bedürfnisse meiner Mutter einzustellen. Ein Bedürfnis meiner Mutter war die Flucht: Sie machte das Tempo, hackte mit eiligen Schritten über die Flure, Treppen hinunter, hinaus und zum Parkplatz hin. Sie wollte nicht, sie konnte nicht sprechen.
Dann sprangen die beiden ins Auto. Plaff… plaff… schlug jede ihre Wagentüre zu. Rita wollte gerade den Zündschlüssel ins Schloss stecken, da schnappte meine Mutter nach ihrer rechten Hand. Rita sah ihre Hand an, dann zu meiner Mutter hin: Die starrte auf die eigene Hand, wie sie verkrampft die Hand einer jungen Frau umklammerte, von der sie sicheren Halt erhoffte – oder wenigstens einen Rettungsring in den unwirsch tobenden Wellen einer stürmischen See.
Ungezählte Sekunden lang. Dann warf sie ruckartig den Kopf zu Rita hin – die Augen gerötet, die Tränen stumm, kurz vor dem Überlaufen. “Sag endlich“, flehte sie. Ein Speichelfaden spann sich von einer Lippe zur anderen, die Mundwinkel waren feucht: Da waren die anderen Tränen, in ihrem nassen Mund. Dann warf sie die Stirn in Falten: „Bi-tteee! Was weißt Du?“
Rita blieb stumm. Sie stritt mit der Wahrheit, die es gab – und der Qual, die sie meiner Mutter zumuten würde. Sie sah weg von meiner Mutter, durch die Windschutzscheibe hindurch, als stünde dort ein Text zum Ablesen. Gedanken verloren las sie: „Die Blutwerte sind erschreckend.“ Pause. Dann wandte sie sich wieder meiner Mutter zu und legte noch ihre linke Hand hinzu, wo meine Mutter verkrampft die rechte Hand meiner Cousine hielt. Auge in Auge, forderte meine Mutter eine Antwort – Rita rang sich durch zur Wahrheit: „Onkel Ben wird die Klinik nicht lebend verlassen!“
Die stumme Mutter verstummte. Ihre Unterlippe zuckte ein wenig. Die Tränen schossen tonlos aus ihren Augen, perlten an ihren Wangen hinunter und fielen in den bodenlosen Abgrund dieser Botschaft. Ihr Atem ging tief und heftig. Plötzlich presste sie die Lippen verbissen aufeinander und wandte sich ruckartig von meiner Cousine ab. Genauso ruckartig riss sie ihre linke Hand an sich, schnappte nach ihrer eigenen rechten und verkrampfte ihre zwei Hände miteinander. Sie vergrub dieses Knäuel ihrer eigenen Hände zwischen ihren Oberschenkeln und starrte geradeaus durch die Windschutzscheibe, während unentwegt und in vollkommener Lautlosigkeit die Tränen weiter spülten.
Dann befahl sie mit vorwurfsvollem Unterton: „Fahr endlich los!“
Meine Mutter kam mit dem Zug zurück nach Hause. Den Austin hatte sie Rita in Köln zurück gelassen. Rita hatte versprochen, jeden Tag mindestens einmal bei meinem Vater vorbei und nach dem Rechten zu schauen. So wusste meine Mutter ihren Mann wenigstens rundherum gut umsorgt. So gut es eben ging.
Kaum eine Woche später lagen alle Untersuchungsergebnisse vor und ließen keinen Zweifel mehr. Beim nächsten Besuch schenkte der Oberarzt meiner Mutter reinen Wein ein: „Die Lunge ist am stärksten und akut betroffen… deshalb ist Ihr Mann hier schon gut aufgehoben. Aber… die Metastasen haben in den ganzen Körper gestreut. Eine Behandlung wäre nur eine sinnlose Qual für ihren Mann.“ Schockstarr und mit offenem Mund nahm meine Mutter das Todesurteil zur Kenntnis, das soeben über ihren Mann ausgesprochen worden war.
Ruckartig wandte meine Mutter sich von dem Arzt ab und schaute nirgendwo hin – nur bloß nicht Auge in Auge mit diesem Arzt. Die Worte des Arztes hingen im Raum wie beißender Rauch. Der Rauch trieb meiner Mutter die Tränen in die Augen. Sie rang um Fassung – worin sie gut war! Ihre Fassungslosigkeit vermochte sie dieses Mal nicht so gut zu verbergen.
„Und…“ stammelte sie, „es gibt keine Hoffnung?“
„Entschuldigen Sie…“ der Arzt schüttelte verneinend den Kopf. „Es hätte keinen Zweck, Ihnen Hoffnung zu machen. Glauben Sie mir: Wir haben das hier mit mehreren Spezialisten wieder und wieder erwogen. Wir haben verschiedene Therapieansätze diskutiert… Es müsste schon mit einem Wunder zugehen…“
„Ja?“ horchte meine Mutter auf und starrte drängend den Arzt an. „Also: Etwas können Sie tun?! Sie können ihn doch nicht einfach so aufgeben!“
„Bii-tte!“ flehte der Arzt nun seinerseits. „So seien Sie doch vernünftig! Solche Wunder haben wir hier noch nicht erlebt! Nicht, wenn der Krebs so weit fortge- schritten ist! Wenn die Metastasen im Körper so gestreut haben!“
Meine Mutter starrte wie erstickt den Arzt nur an. Sie klebte mit ihren verheulten Augen an seinen Lippen. Sie sagte nichts. Sie weinte tonlos.
Der Arzt schüttelte zaghaft mit dem Kopf. „Es tut mir Leid. Glauben Sie mir, ich würde Ihnen gern etwas anderes sagen… Bitte! Ersparen Sie Ihrem Mann das! Wenn es eine realistische Chance gäbe… Aber er litte aussichtslos! Es ist nur noch eine Frage der Zeit! … und Ihr Mann hat nicht mehr viel Zeit.“
Später war einmal die Rede von „einer weiteren“ Operation. Also mussten die Ärzte ihn wohl doch irgendwann an der Lunge notoperiert haben. Vielleicht wäre er ja andernfalls sogleich elend verreckt. Woher nahm er noch diese Kraft, dass er sich noch immer mit der ihm eigenen Brachialgewalt dem Tod entgegen stemmte? Hielt er grimmig oder trotzig den Sensenmann zum Narren? Hatten die Ärzte meinem Vater auch reinen Wein eingeschenkt? Meine Mutter hatte es gewiss nicht getan. Klammerte er sich gar als Einziger noch an so etwas wie Hoffnung?
So ging ein paar Wochen lang die sieche Zeit ins Land. Meine Mutter besuchte ihren Mann auch zwei, drei mal „unter der Woche“ – für mehr reichte ihre Zeit nicht, wie es schien. Und natürlich besuchte sie ihn am Wochenende. Immer wieder machte meine Mutter Andeutungen, warf mir spitze Bemerkungen zu, schoss ihre Giftpfeile ab. Schließlich drängte sie mich ohne Umschweife, meinen Vater noch einmal zu besuchen. „Und bitte: Nimm Hanna und auch Julia mit! Das hat er nicht verdient, dass er so von uns gehen muss…“
Ich gab meinen Widerstand auf. Ich gab auf.
Vielleicht hatte sie Recht – so rein objektiv betrachtet. Aber mich quälte und folterte, was mir nun bevorstand.
Wenige Wochen waren es, die mir drückend lang erschienen waren, zäh hinge- zogen, die an meinen Nerven gerissen hatten. Verwandte, Freunde, Bekannte, Kollegen, Chefs… alle und ein jeder fragten, tief betroffen, geradezu bestürzt: „Mensch… Fin!“ Die Hand kurz vor den Mund geschlagen, oder die Hand zum Gruß gereicht, tief hinunter gedrückt und nicht geschüttelt, sondern nur klamm gehalten. Die Gesichtszüge düster, die Mundwinkel schlaff: „Wie geht es denn Deinem Vater?!“ und „Jaaah, ich hab gehört… !“ und „Ach? Aber nicht in Aachen?“ und „Ja, und bitte: Bestell Deinem Vater meine herzlichen Genesungswünsche! Mensch, Gott, nein. Wie… furchtbar!“
Ich wollte nichts „bestellen“, wollte keine Grüße ausrichten. Die Betroffenheit musste ich spielen – die ich nicht spürte. Ich spürte nicht, wie schlimm es meinem Vater ging. Ich spürte nicht, dass das tragisch für uns sei.
Ich beobachtete meine Mutter, ohne sie zu verstehen, wie sie immer nur niederge- schlagen und traurig und in einer unerklärlichen Eile war. Als könne sie Lebenszeit für meinen Vater sparen, wenn sie eiliger durch die Wohnung wirbelte, wenn sie gehetzt aß, schneller zu Bett hüpfte – und, wahrscheinlich, stundenlang wach dalag und im lichtlosen Zimmer hektisch unter die schwarze Zimmerdecke starrte.
Ich spürte nur, wie schlimm es war, unterstellt zu bekommen, dass es schlimm sei – und wie schlimm es war, mustergültig die gewichtige Nebenrolle zu spielen: wieder nur den Mustersohn.
Ein unbändiger Zorn fraß in mir und nährt nur noch mehr meinen Hass gegen meinen Vater: Für kaum drei Monate seines Friedens hatte mein Vater ultima- tiv die Entscheidung über Browny oder über unseren Auszug eingefordert. Einmal mehr verabscheute ich mich selbst und hasste meinen Vater dafür, das ich Browny geopfert hatte für einen so geringfügigen Frieden. Einmal mehr verabscheute ich mich selbst dafür, dass mir in bloßer Angst vor dem Vater und überstürzt nichts Besseres eingefallen war.
Wenn es erst vorüber wäre, würde alles leichter für uns werden. Dieses ewig in unserem Hause schwärende Gebrüll, von dem man nie wusste, wann es ausbrechen würde – und von dem man oft nicht einmal nachvollziehen konnte, weshalb es ausgebrochen war. Scham grämte mich ob meiner Erleichterung – und war doch erleichtert in der Gewissheit, dass er nicht mehr wiederkehren würde.
Wenn es erst vorüber wäre, würde vieles leichter werden. Der Hass gegen meinen Vater, der in mir loderte und immer wütender in mir riss, würde endlich erlöschen – so war ich mir sicher. Der Hass, der es mir verbot, ihn auch nur einmal zu besuchen, würde friedlich verstummen können. Wenn er nur endlich und ganz plötzlich sterben würde, damit die Genesungswünsche verstummen würden, die man mir wieder und wieder ins Gepäck lud. Und damit das subtile Drängen meiner Mutter endlich enden würde.
Wenn es erst vorüber wäre, würde eines nicht leichter werden: Die Sehnsucht, vom eigenen Vater endlich und einmal vorbehaltlos angenommen zu sein, so wie ich bin – und vor allem endlich angenommen zu sein als das, was ich war: sein Sohn! Das wiederum quälte mich daran: Dass mein Vater so plötzlich fort musste und ganz sicher nie mehr wiederkommen würde. Das quälte mich an dem Tod meines Vaters, den er nicht zu erbringen bereit war: Das Bewusstsein, nein, die Ahnung, dass diese Sehnsucht nicht verstummen würde, sondern qualvoll ersticken in der zähen, schlammigen Unmöglichkeit, je in Erfüllung zu gehen.
Und plötzlich drängte meine Mutter nicht mehr subtil, sondern forderte kategorisch ein. Ich sah mich schon ihm gegenüber stehen… Was sollte ich sagen, wie mich benehmen? Dem siechen Koloss gegenüber? Ihm meine Sehnsucht gestehen? Er hätte es mit einem dummen Scherz abgetan. Ihm meinen Hass gestehen? Er hätte es als pubertäre Dummheit, als dreistes Hirngespinst abgewehrt. Er hätte nur wieder einen Grund mehr, mich nicht ernst zu nehmen.
Sollte ich mich mit gespielter und verlogener Herzlichkeit nach seinem Befinden erkundigen? Die ehrliche Antwort, die er nicht geben würde, war uns allen ohnehin bekannt. Die unehrliche Antwort brauchte niemand von uns.
Ich wünschte meinem Vater mit Resten inneren Anstandes nicht den Tod an den Hals – aber sein Tod kam mir nicht ungelegen. Weshalb musste meine Mutter das nun von mir verlangen? Es reichte schon, dass ich immer häufiger an meinen Vater denken musste, wenn ich – wann auch immer, wo auch immer – mir eine Zigarette ansteckte: Ich war Kettenraucher wie mein Vater! Der nun mit Lungenkrebs und voller Metastasen im nicht mehr behandelbaren Endstadium Reste von Lebensfunktionen nutzte, um nicht mehr wirklich zu leben, aber noch immer präsent zu bleiben. – Das Rauchen war nur so ein Denkmal, aber gar nicht der eigentliche Grund, weshalb sich mir mein Vater in Gedanken immer stärker aufdrängte…
Ich diskutierte mit meiner Mutter nicht einmal mehr darüber: Ich wusste, dass der Anstand es verlangte. Wahrscheinlich würde meine Mutter es mir auch nie verzeihen, wenn ich ihr diesen Wunsch – auch wenn es auf ihre Weise ein Befehl war – ausgeschlagen hätte.
An dem verdammt heißen ersten Sonntag im August 1974 bretterten wir also alle gemeinsam nach Köln-Merheim. Und die einzige, der es gelang, mit dieser Reise so wirklich ganz unbedarft, unvoreingenommen und locker umzugehen, war wohl Julia, noch keine sieben Monate alt.
In der Klinik angekommen, wurden wir mit der Tatsache konfrontiert, dass Hanna mit Julia draußen bleiben musste: Der Zutritt war Personen unter sechszehn Jahren nicht gestattet. Und meine Mutter wollte schon beginnen, nach Lösungen zu suchen, damit wenigstens Hanna dann einmal kurz ihren Schwiegervater besuchen könne. Selbst die Legitimität ihres Herzenswunsches wog sie ab: Ob die Schwestern denn nicht eine Ausnahme würden arrangieren können… Hanna winkte ab: „Lass, Mutter! Lass! Ich geh so lange in den Park. Es hat bestimmt seine Gründe, dass die Kleine nicht mit hinein kann…“
Anmerken ließ Hanna sich nichts. Aber ich konnte mir nur zu gut vorstellen, dass Hanna erleichtert war, die Konfrontation mit dem siechen Tyrannen zu verpassen. Noch viel zu klar schwang der Satz mir nach wie ein Echo, den Hanna mir grell an den Kopf geworfen hatte: „Wenn es nach mir ginge, dann zögen wir hier sofort aus!“ Wie sehr ich Hanna auch ihr leichtfüßiges und freundliches Arrangement mit meinem Vater vorgeworfen hatte – am Ende musste ich mir eingestehen, dass sie sich durch dieses Arrangement hindurchgequält hatte, weil die Umstände es erforderten… Oder: Weil die Umstände mit angenehmen Vorteilen lockten. Und so sah Hanna sich in der einen oder anderen Weise genötigt, gedrängt, bittersüß gelockt, wann immer mein Vater renovierte und herrichtete, das unverwüstliche Arbeitstier und Kampfschwein bei Laune zu halten.
Als wir meinen Vater aufsuchten, als ich durch die Tür trat, blieb ich einen Moment erschrocken im Rahmen stehen, ehe ich mir einen Ruck gab: Da lag die Unver- wüstlichkeit zu Bett, von Kissen hoch getützt, blass, ausgemergelt, verschlaucht, verkabelt, aus verschiedenen Flaschen heraus im Leben gehalten. Seine Gesichtszüge waren nicht mehr von der wütenden Kraft der ewigen Unzufriedenheit nach unten gezogen – sondern ergaben sich der bloßen Schwerkraft. Es hätte mich zufrieden stimmen können, meinen Vater bedingungslos friedfertig vorzufinden. Stattdessen schockierte es mich, wie lapidar und unerbittlich das Leben diesen Koloss in kürzester Zeit niedermachte zu nichts als einem Wrack. Es schockierte mich, wie schamlos das Leben diesen Kerl nicht einmal mehr am edel glänzenden, seidenen Faden hängen hatte. Sondern wie das Leben ihn da am matten, grau angelaufenen Leinenfaden, achtlos aus einem ranzigen Leichentuch gezupft, mit makabrer Beiläufigkeit über dem Reich der Toten baumeln ließ.
[…]

Abwärts leben – ein Weg in die Abhängigkeit

– 2016 in komplett überarbeiteter, 2. Auflage –

Mein Buch „Abwärts leben“ ist als Lebensbericht eines Alkoholikers die Beschreibung eines Weges in die Abhängigkeit hinein. In erster Linie geht es um Kinderheit und Jugend, umgekehrt somit um den Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Denn darin sind die Wurzeln von Sucht zu suchen, wenn man Abhängigkeit verstehen und im besten Falle präventiv verhindern will – nicht im Alkohol selbst, nicht in anderen Drogen.

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In enger Abstimmung mit dem Betroffenen ausgearbeitet, damit die Biografie in meiner Darstellung authentisch blieb, hat der Betroffene am Ende jedoch um Anonymisierung gebeten. Das macht diese Biografie nicht weniger authentisch, auch wenn der Betroffene schließlich unerkannt bleiben möchte. Ich bitte um Verständnis für die Einforderung von Privatsphäre, die der Betroffene für sich und seine Ehefrau wünscht.

Trotz der Publikation „on demand“ ist dieses Buch mit EUR 14,20 preislich endlich dort wiederzufinden, wo auch verlagsgetragene Taschenbücher sich im Markt einordnen.
Die erst im September 2014 von „Books on Demand“ umgesetzte Neustrukturierung der Druck- und Produktionsprozesse, und damit einhergehend der Preisgestaltung, habe ich für eine Neuauflage genutzt. „Books on Demand“ bietet wie gehabt und noch immer: Regionale Wertschöpfung durch Druck, Weiterverarbeitung und Vertrieb „made in Germany“. BoD betreibt kein Preisdumping zu Lasten des heimischen Marktes.

Ich meinerseits habe das gesamte Buch vollständig überarbeitet, um Ihnen mit einem deutlich gestrafften Text mehr Lesegenuss anzubieten: Mit allem Spaß an der Wortkunst bekommen Sie einen Lebensbericht geboten, der sich keineswegs streng und allein an jenen Alkoholiker klammert. Wo die Auseinandersetzung mit einer Kindheit und Jugend, mit einem Weg hinein in die Abhängigkeit an sich schon oft genug das berüchtigte „harte Brot“ ist, da muss aber der bloße Spaß am Lesen nicht auf der Strecke bleiben. Neben dem Leben des Betroffenen und neben einem sportlichen Umgang mit Wort und Formulierung bekommen Sie auch immer wieder süffisante oder zynische Schwenks und Augen-Blicke hinein in Zeit, Geschichte und Gesellschaft geboten.

„Abwärts leben“ behandelt die Frage, was in Abhängigkeit hineinführt


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Meine Zielgruppe sind nicht nur Betroffene – sowohl Alkoholabhängige, als auch andere, die sich in Sucht und Abhängigkeit wiederfinden – sondern ganz besonders Jugendliche und junge Erwachsene, die einen Ausweg und Selbstfindung suchen, ehe sie einer verhängnisvollen Spirale abwärts kaum noch zu entrinnen wissen.

Weiterhin möchte ich Personen im Umfeld süchtiger oder suchtgefährdeter Personen sowie Interessierte ansprechen, die sich mit Abhängigkeit und Suchtproblematik auseinandersetzen möchten und sich darum bemühen, Verständnis für Sucht und Süchtige zu gewinnen. Ich spreche also auch beruflich oder ehrenamtlich in Suchtprävention eingebundene Menschen an.
Was ich Ihnen biete, ist nicht, was Sie ohnehin sehen können – ob nun selbst betroffen oder mitbetroffen. Ich zeige nicht das Leben an der Flasche und ein Leben in seiner so offensichtlich unbegreiflichen Aussichtslosigkeit. Sondern ich zeichne die Zermürbung eines Menschen nach, die zwar ohne strukturiertes System und ohne erkennbaren Willen oder Vorsatz, aber dennoch mit aller Konsequenz schon am Kinde begonnen hatte.
Der Leser darf dabei zugleich mit wohlgesetzter Wortkunst rechnen, die keineswegs nur in sich selbst lebt und Spaß bereitet, sondern die Geschichte akzentuiert mitträgt.

Hier geht es zu vier Leseproben:
Auszüge aus dem Kapitel: „Der stinkende Atem des heimtückischen Todes
Auszug aus „Tage der Freude und des Feierns
Auszug aus „… wie ein Engel des Friedens
Auszug aus „Vielerlei Wege, zu schlucken

15,5 x 22 cm • 388 Seiten • Paperback

ISBN: 978-3-7412-0838-6

für EUR 14,20 in jedem Buchhandel,

direkt bei „Books on Demand

oder bei amazon

oder in vielen anderen Online-Versandhandlungen.

Seit dem 16.06.2016 auch als eBook unter der
ISBN 978-3-7412-5750-6
gibt es zum Beispiel hier, aber auch überall woanders, wo es eBooks gibt, für EUR 9,49.

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