„Bahnhofsklo“: grandios und umstritten

Gesellschaftskritisch kommt Manolito Pepito Panadero nicht zum ersten Mal daher – aber mit keinem seiner Werke so vehement umstritten wie mit seinem „Bahnhofsklo“!

Die Frustration der jungen Generation mag sich häufig und allbekannt in verborgenen öffentlichen Räumen Luft machen. Jedoch, längst nicht allein der jungen Generation. Und dies wiederum ist nicht zuletzt das Resultat einer zunehmend individualisierten – und als Kehrseite dessen auch desolidarisierten – Gesellschaft, die dem Einzelnen nicht den nötigen Halt und nicht die nötige Anerkennung angedeihen lässt, wo ein Mitglied der Gesellschaft nur einfach zu „funktionieren“ hat. Keineswegs nicht mehr nur junge Menschen reagieren mit dem Rückzug in Randgruppen, mit der Flucht in Extremverhalten, mit der Flucht auch in die Bewusstseinstrübung.

Im Wortsinn „schamlos“ gesellschaftskritisch: unverblümt und offen

Einmal zeigt Panadero mit seinem „Bahnhofsklo“ ungeschönt, dass der Konsum harter Drogen im Verborgenen und wegen seiner Illegalität häufig auch an den hässlichsten Orten stattfindet. Was der Künstler hier mit dem „Besteck“ der heroinabhängigen Junkies plakatiert, hat mit Verherrlichung der Drogenszene rein gar nichts zu tun. Vielmehr zeigt Panadero die Aussichtslosigkeit von Drogenkonsum auf.

Andererseits wird „Sexkonsum“ nicht nur in den harten Sprüchen, die sich auf öffentlichen Toiletten finden, sondern bis hinein in den so genannten Volksmund heroisiert und in erschütternder Weise banalisiert. Eine Kehrseite dessen ist die Zunahme ungewollter Schwangerschaften insbesondere bei Jugendlichen sowie weiterhin seit geraumer Zeit die erneute Ausbreitung verschiedener Geschlechtskrankheiten, die man bereits als Teil der Geschichte wähnte.

Sprüche wie „Heroin iss geil, aber Ulla iss schon tot und ich komm auch bald nach“ oder „Nimm die Lümmeltüte, schütz Dich bitte“ sind in diesem Kontext nicht alltäglich und kaum real: Sie gehören nicht zum üblichen Repertoire jener, die sich mit Schmierereien im öffentlichen Raum verewigen.
Und so bezieht Panadero deutlich Stellung gegen derartiges Flucht- und Abgrenzungsverhalten. Er lässt nicht nur Bildhaftigkeit und Texte für sich sprechen, sondern kontrastiert bewusst und vermittelt eine unmissverständliche Botschaft.

Wahrhaftig hervorstechend, dieses „Bahnhofsklo“ – das zeigten auch die Besucherresonanzen.

Mit Bedacht gewählt: ein Stück Verfall

Wo andere nur noch den örtlichen Entsorger einbezogen hätten, da hat Manolito Pepito Panadero den Betrachter einbezogen – und gestört in seinem Frieden mit der Kunst in der Welt.

Inhaltliche Tiefe – mit einer vergammelten Sackkarre verstörend kurz und bündig präsentiert!

Was also den meisten anderen erscheinen mag wie der leidliche Versuch einer Wiederverwertung, das wird Panadero gleichsam zum Brennglas: für den Blick auf Geschichte und Zivilisation.

Denn was hier auf den ersten Blick lapidar aus der Ecke gekramt und inhaltsleer erscheint, das konfrontiert den Besucher bei tieferer Betrachtung mit dem weiten Weg, den eine zaghaft sich technisierende Gesellschaft gegangen ist, um in der Moderne anzugelangen. Anzugelangen in einer High-Tech- und Informationsgesellschaft, die auch – um auf das Motiv des Künstlers einzugehen – eine Mobilitätsgesellschaft ist. Dem aufmerksamen Betrachter erschließt sich so Anlass zur Einkehr und zur kritischen Betrachtung:

Einkehr ob der Lebenswege, die hinter stillen Zeugen vergangener Zeiten stehen. So offenbaren steinerne Monumente wie zum Beispiel ein Aachener Dom schwerlich die Schattenseiten der Gesellschaftsformen, auf deren Relikte wir heute mit Stolz, Achtung und auch Ehrfurcht eingehen – aber wohl kaum mit Mitgefühl und Ehrerbietung für jene, die dabei unbeachtet auf der Strecke geblieben sind.

Schlicht und inhaltsschwer zugleich – ein echter Panadero

Eine kritische Betrachtung auch ob der Kehrseite der hohen Mobilität, die unsere heutige Gesellschaft in ihrer überwiegenden Wahrnehmung genießt. So war die räumliche Unbeweglichkeit und Begrenztheit vergangener Gesellschaften auch mitverantwortlich für die geringe geistige Beweglichkeit solcher Gemeinschaften. In den Zeiten des Globalismus entziehen sich die Nebenwirkungen der gegenseitigen Ab- und Ausgrenzungen zunehmend dem Bewusstsein und finden oftmals nur noch Beachtung durch Schock- oder Schreckensmeldungen in TV- und Pressemeldungen, wenn vormals durch Kolonisation gänzlich unterdrückte Gesellschaften heute nach der vollen Befreiung und sozialen Gleichstellung greifen.

Auch eine andere soziale Schattenseite, die sich im Inneren unserer Mobilitätsgesellschaft auftut, bleibt weitestgehend unbeachtet… solange man an der erwarteten Individualmobilität Teil hat.

Mit der „großen Kunst“ gespielt: Wandlungen

Wo Manolito Pepito Panadero sich gern mit kleinen Seitenhieben auf die Gegenwartskunst begnügt, da hat er sich mit „Wandlungen“ einen der ganz Großen vorgeknöpft. So scheint es – und meint in Wahrheit doch allein den Betrachter! Gerhard Richter weiß Panadero sehr wohl zu schätzen und zu achten.

Das Spiel mit Gerhard Richter wird zum Spiel mit dem Publikum:

Mit seinen „Wandlungen“ tritt Panadero nicht namentlich auf, sondern tritt hinter dem großen Namen Richter’s vollkommen zurück.

Gerhard Richter hatte 1973/74 seine Reihe „Permutationen 1-1024“ erstellt, von denen Manolito Pepito Panadero die ersten beiden Werke mit 2 x 2 und 4 x 4 Farbfeldern ausgetauscht hat gegen eigene Neuentwürfe, die bewusst allein in pastelligen Abtönungen gehalten sind. Panadero hat hier keineswegs die Absicht, Gerhard Richter aufs Korn zu nehmen, sondern den Betrachter will er narren oder prüfen: Wie genau schaut der Betrachter hin? Und wie genau kennen selbst Kenner der Szene denn „ihren“ Richter?

   das Original

   Panadero’s „Modifikation“

Zwar hat auch Gerhard Richter mit ähnlichen oder gar gleichen Farben gearbeitet, tut dies aber ausgewogen im Zusammenspiel mit Volltönen in perfekter Streuung. Vor allem jedoch: Seine „Permutationen“ starten mit den 4 Volltönen Gelb, Rot, Blau und Grün.

Nicht so bei Panadero – der gerade hier schon Richter’s Konzept konterkariert! Und – ich mag es kaum erwähnen – sogar beim Kontrollgang aus der Abteilung der Restaurierung unentdeckt blieb!

So sehr Panadero einerseits damit gerechnet hatte, nicht aufgedeckt zu werden, so sehr war er am Ende aber doch überrascht, dass wahrhaftig niemand von allein darauf kam oder von allein wenigstens einmal stutzte. Auch jene nicht, die Richter’s Werk sehr wohl kennen. Sondern, mit der Nase geradezu darauf gestoßen oder gar endlich ganz konkret darauf angesprochen, staunten die Besucher über sich selbst:

Was ist da eigentlich ausschlaggebend, wo man auf – vermeintlich – Bekanntes stößt und zugleich das Befremdliche daran gar nicht bemerkt: die Vertrautheit – oder doch die Flüchtigkeit?

Als Panadero wieder durfte: der 1. April 2005

Es bestand gleichsam Nachholbedarf für Manolito Pepito Panadero, nachdem er in den beiden Jahren zuvor seine Plattform – den 1. April und das Ludwig Forum in Aachen – nicht hatte nutzen dürfen. Und so trat er mit gleich drei – und sehr unterschiedlichen Werken – erneut an die Öffentlichkeit.

1. April 2005: Manolito Pepito Panadero kommt mit einem Paukenschlag zurück!

Mit dem ersten der drei Werke stellt er den Kunstinteressierten auf die Probe – oder führt ihn an der Nase herum. Das kann ein jeder, der will, so sehen, wie er will:

Wandlungen

Hier tritt Panadero nicht namentlich auf, sondern „versteckt“ sich hinter Gerhard Richter – und hat lediglich die Tafeln mit 2 x 2 und mit 4 x 4 Farbfeldern ausgetauscht. Panadero benutzt ausschließlich Pastell-Töne, wo Gerhard Richter in der Anfangstafel die vier Volltöne Gelb, Rot, Blau und Grün nutzt. In der zweiten Tafel verwendet Panadero ebenfalls ausschließlich Pastellfarben, wo Richter eine wohlausgewogene Mischung bietet.

Sein zweites Werk begeisterte mit Schlichtheit und Tiefgründigkeit:

Weite Wege

Ein so banales und doch zugleich äußerst tiefgründiges Werk des Künstlers – lässt Manolito Pepito Panadero hier doch nichts aus, was in der Gegenwartskunst konzeptionell ganz üblich ist.
Auch mit diesem Werk also brilliert Panadero mit einem geschmeidigen Seitenhieb zur Kunstszene hin.

Kein Werk jedoch – nicht aus der übrigen Ausstellung und nicht im Vergleich zu den anderen Werken Panadero’s – war an diesem Tage ein solcher Publikumsmagnet, wie dieses! Und keines hat für so rege Diskussionen gesorgt:

Bahnhofsklo

Heute kennen wir gepflegte Toiletten, zumindest in größeren Bahnhöfen – und die Nutzung kostet den Euro, den der eine oder andere Punker lieber vor dem Bahnhof abschöpft. 2005 zog Panadero die Aufmerksamkeit seines Publikums mit aller Berechtigung durch die Vermittlung über das Bahnhofsklo auf sozial hochbrisante Themen. Und trotz oder gerade wegen seiner Umstrittenheit überschlug sich hier die Begeisterung der Besucher.

Lesen Sie mehr zu jedem der Kunstwerke, indem Sie auf die Bilder klicken.

Der 12. November 2005

… und wie es dazu kam, dass im Spätherbst ein 1. April datiert wurde.

Aller guten Dinge – wie der Volksmund weiß – sind drei.

Der guten Dinge das Erste:
Frau Dr. Annette Lagler, stellvertretende Direktorin des Ludwig Forums für Internationale Kunst in Aachen, und Kustodin der ständigen Sammlung des Hauses, ermöglichte Manolito Pepito Panadero alias Manfred Beckers im Frühjahr 2005 – nach zweimaligem Aussetzen – seinen Ideen freien Lauf zu lassen und sich wieder einmal zum 1. April im Ludwig Forum zu präsentieren.

Manolito Pepito Panadero greift den 1. April endlich wieder auf

Der Kalender wiederum hatte es gut gemeint mit Panadero: Fiel doch der 1. April 2005 auf einen Freitag. Dies gab ihm die Möglichkeit, seine Arbeiten einschließlich des Wochenendes der Öffentlichkeit zu präsentieren – und erst am Spätnachmittag des Sonntags Stück um Stück seine Arbeiten abzubauen.
Natürlich sollte auch diese Aktion zum 1. April, wie in den Jahren zuvor schon, eine spontane sein. Und so gab es keine Ankündigungen und keine Öffentlichkeitsarbeit. Dennoch: Jene Besucher des Hauses, die – dem Zufall dankend – Panadero’s Kunst sehen konnten, waren begeistert.

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Der guten Dinge das Zweite:
Vermutlich nicht ganz zufällig wird im Spätsommer ein Redakteur der Aachener Nachrichten auf Manolito Pepito Panadero aufmerksam. Dass Frau Lagler ihrerseits den Kontakt zu der Lokalzeitung gesucht haben könnte, drängte sich als wahrscheinlich zwar auf, blieb aber unbestätigt. Und so verlangen Anstand und Rechtsverständnis, an dieser Stelle nicht die Wahr-, sondern die Scheinlichkeit solcher Zusammenhänge hervorzuheben.
So erschien in den „Aachener Nachrichten“ am 21. September 2005 ein Artikel, den Sie in wesentlichen Auszügen hier als PDF abrufen können:

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Der guten Dinge das Dritte:
Durch jenen Artikel wiederum wurde der WDR aufmerksam auf Panadero – und wollte sowohl einen Beitrag in der „Aktuellen Stunde“ bringen, als auch nicht bis zum nächsten 1. April warten. Dank der Unterstützung Frau Lagler’s kam es also am 12. November 2005 zu einem 1. April – und einer ganzen Werkschau: Manolito Pepito Panadero stellte im Ludwig Forum insgesamt neun seiner Arbeiten aus.

An jenem 12. November kam – nicht bestellt, aber wie gerufen – Heinrich Schauerte im Ludwig Forum vorbei… und wurde inspiriert: Zu einem Artikel über den Künstler Panadero – mit dem er süffisant auch die einstige Befindlichkeit des Hauses auf’s Korn nahm.

Am 14. November 2005 strahlte der WDR in der „Aktuellen Stunde“ einen fünfminütigen Beitrag über Panadero aus.

Und… wie überhaupt alles begonnen hatte: nämlich mit dem 1. April 1998.