Schlag-Schatten – Leseproben

aus: Eine Bestandsaufnahme
Die gesetzliche Entwicklung zu Gewalt in der Erziehung

Zur Auslegung des Gesetzes heißt es 1977: „Die Eltern können zur Erziehung selbständig die geeigneten Maßnahmen ergreifen […]. Elterliche Erziehungsmittel […] sind Ermahnungen, Verweise, Ausgehverbote, Knapphalten, Taschengeldentzug. […] körperliche Züchtigung, jedoch nur im Rahmen des durch den Erziehungszweck gebotenen Maßes, also unter Rücksichten auf Gesundheit und seelische Verfassung des Kindes; sonst Mißbrauch im Sinne von § 1666 und strafbar […].“
Der Querverweis auf § 1666 BGB ist interessant aus der Kommentierung heraus: „Pflichtverletzung liegt vor bei […] Sorgerechtsmißbrauch, d. h. Ausnutzen der elterlichen Gewalt zum Schaden des Kindes: übermäßige Züchtigung, z. B. Schläge gegen einjährige Tochter […], auch deren Duldung durch anderen Elternteil oder Dritten; […] hysterische Tobsuchtsanfälle […].“
Beachtenswert ist die Mitschuld des ggf. nur duldenden Elternteils, wenn es um Misshandlung in der Erziehung geht.
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Eine traumatisierende und wiederholt, aber unvorhersehbar sich wiederholende Form von exzessiver Gewalt in der Erziehung führte bereits in den 50er Jahren zum gerichtlichen Entzug des Kindes!


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Immerhin wird aber schon in den 1980er Jahren die Gewaltanwendung in der Erziehung rege diskutiert. Eher absurd wird noch 1985 die Meinung vertreten, dass „die Forderung nach einer gesetzlichen Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechts ([…] verwirklicht in Schweden durch Gesetz vom 22.3.1979 […]) ebenso unrealistisch wie sachwidrig“ sei.
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„Durch das Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung vom 2.11.2000 […] ist in § 1631 Absatz 2 BGB ein gesetzliches Verbot von ‚körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen und anderen entwürdigenden Maßnahmen‘ eingeführt worden.“ Hier wägt der Autor ab: „Die Argumente für das Fortbestehen eines Rechts zur ‚mäßigen‘ Misshandlung […] setzen sich mit dem Hinweis auf allfällige Nervenbelastungen (und die daher ‚ausrutschende‘ Hand) in Widerspruch zur Behauptung einer Rechtfertigung (oder gar: Tatbestandslosigkeit) durch pädagogische Motivation […].“4 Mit der „mäßigen Misshandlung“ stolpert der Autor verbal über das eigene Anliegen: Eine „mäßige“ Handlung ist zwar umgangssprachlich meistens als „geringfügig“ zu verstehen, aber im juristischen Jargon als „maßvoll“ oder „angemessen“. Eine Miss-Handlung, eine verfehlende Handlung, kann in sich logisch niemals „angemessen“ sein. Dann aber weist er richtig darauf hin, dass argumentativ unverträglich eine Handlung im Affekt – als an sich unangemessene, unbewusste Reaktion auf eine bestimmte Situation – vermischt wird mit der bewussten Motivation, erzieherisch angemessen zu handeln. Diese Abwägung stammte noch aus der Zeit  vor  der Gesetzesnovelle von 2000, erscheint dem Autoren aber schon grundsätzlich als absurd. Folgerichtig weist er an anderer Stelle noch einmal auf die juristische Konsequenz hin: „Individuelle Schuld-Gesichtspunkte (z. B. lebensumständliche, persönlichkeitsbedingte [und] situative Überforderung; eigene Gewalterfahrung) sind bei der Strafzumessung zu berücksichtigen […], können aber weder einen generellen, dogmatisch unklaren Freiraum begründen, noch eine kriminalpolitisch motivierte (prozessuale) Einschränkung der Verfolgbarkeit.“

aus: Im freien Fall
[…]
„An mein erstes Leben kann ich mich nicht erinnern. Überhaupt nicht.
Und ich muss etwa vier Jahre alt gewesen sein, als dieses Leben endete. Ich wurde missbraucht. Von wem, das weiß ich nicht. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, was mit mir geschehen ist. In meinem zweiten Leben ignorierte mich mein Vater, und meine Mutter liebte mich nicht. Mein Bruder bekam alles. Ich bekam alles, was nötig war, um uns wie eine ganz normale Familie erscheinen zu lassen.
Die wenigen Beziehungen, die ich mit Männern hatte, sind alle gescheitert. Immer hatte ich Angst, mich auf sie einzulassen. Mit Berührungen kann ich gar nichts anfangen. Grundsätzlich lasse ich mich gar nicht berühren. Von niemandem. Selbst der Handgruß ist für mich nicht selbstverständlich. Wenn ich dann zu einem Mann Vertrauen gefasst habe, dann wird es allmählich schön, angenehm, geborgen. Ich glaube, es gelingt mir sogar, guten Sex zu erleben.
Aber dann, irgendwann – und das ist immer so – kommt zum ersten Mal beim Geschlechtsakt dieses Bild…
Dann geht meine Zimmertür auf. Jemand tritt ein. Ich erkenne niemanden. Es ist nur ein Schatten. Eine Kontur, der ich nicht entnehmen kann, wer es war… Der Moment, mit dem mein erstes Leben enden sollte. Der Moment, mit dem jede Erinnerung endet. Der Moment, an dem fortan jede Beziehung scheitert.
[…]


Gewalt in der Erziehung ist nicht nur die sichtbare Gewalt!


aus: Vertrauen ohne Nähe
„Von Anfang an geht es um Vertrauen. Als Kind und als Jugendliche ist sie einsam abgestürzt in ihrer Angst. Das Verhältnis zu dieser Madame soundso muss von Anfang an geprägt gewesen sein von dem Vertrauen, das Heike in ihr bestätigt fand. Dann nämlich konnte sie in den alten Gefühlen baden, ohne darin heillos ertrinken zu müssen…“
„Naja, wie auch immer“, hielt sich Heike in Sachlichkeit über Wasser, „jedenfalls erzählte Heike dann noch, dass diese Madame Yasmina am Ende alles so gut, so gewaltig und so friedlich auflöste… Das könne sie bei mir nicht bekommen. Und deshalb müsse sie da wieder hin, zu dieser Madame Yasmina – weil sie bei mir den letzten Gipfel der Lust und den letzten Gipfel des Friedens nicht erlangen könne. – Und auch nicht das Verständnis dafür…  D a s  tat besonders weh, dass sie mich als verständnislos hinstellte. Aber es stimmte wohl.“
[…]
Gedankenverloren, nein, gedankenerstarrt schaute Sabrina vor sich hin. Plötzlich sagte sie sehr leise: „Ich hatte Heike gefragt, ob das denn niemals aufhören würde. – Und sie sagte: ‚Nein, es hört niemals auf. Aber wenn ich den Schmerz fühlen kann, dann geht es mir besser!‘ – N i e m a l s , sagte sie. Und immer wieder erzählte sie und erklärte sie. Und immer wieder bat sie mich, dass ich sie verstehen möge… und immer wieder fragte sie mich, ob ich sie jemals würde verstehen können…“
[…]

aus: Gewissensqualen
„Helga meinte, sie hätte einige Fehler gemacht, was ihre Tochter betraf. Der größte war ihrer Meinung nach der, dass sie ihren Mann nicht schon verlassen habe, als er gewalttätig gegen ihre Tochter geworden sei…“
„Womit“, fiel ich Sabrina ins Wort, „sie bei Dir einen wunden Punkt getroffen hatte.“
Sabrina sah mich an und legte ihren Kopf schief mit einer Frage im Blick, die sie nicht aussprach. Ich hob die Augenbrauen zur Gegenfrage – und Sabrina nickte zaghaft.
„Ja“, begann sie dann bedächtig, „sie stellte die Rolle in Frage, die ich meiner Mutter stets eingeräumt hatte. Ich hatte meine Mutter stets in die Schutzzone des Opfers mit aufgenommen. Und hatte sie auf das Podest der tapferen Widerstandskämpferin gehoben. – Und plötzlich gesteht mir eine Mutter selbst ein, dass die Mitschuld im Verharren als Opfer besteht. Plötzlich gesteht mir eine Mutter selbst ein, dass die Verantwortung für die eigene Tochter nicht bei der hilflosen Parteinahme und Fürsprache hätte enden dürfen, wenn sich damit erkennbar die Gewalt nicht verhindern ließ…“
„Plötzlich gesteht Dir eine Frau ein“, fuhr ich für Sabrina fort, „dass die Entscheidung, bei ihrem Mann zu verbleiben oder sich zu trennen, keineswegs mehr allein  i h r e  Sache sei, wenn es um die Verantwortung für Dritte – also insbesondere für die eigenen Kinder – geht!“
[…]