Tieffliegen in der Röhre

RapidExpress – High-Speed-Magnetgleiten zwischen Paris und Madrid
(NN, 3. Juli 2016; von Jean-Lewin Flotow)

Was vor 50 Jahren noch reine Zukunftsmusik war… mit dem heutigen Tage gehört sie der Vergangenheit an. Denn heute morgen um Schlag 10 Uhr wurde mit Zeremonien in Paris und Madrid die erste RapidExpress-Verbindung ihrer Bestimmung übergeben.

Ich erinnere mich noch, dass ich 1994, also genau vor 22 Jahren, als junger
Volontär einen Bericht über die führenden Hochgeschwindigkeitszüge in
Europa, den französischen TGV und den deutschen ICE, ausgearbeitet habe.
Ich weiß noch, wie ich schwärmerisch im Resümee eine Zukunft voraussah, in
der sich ein Netz der Hochgeschwindigkeitseisenbahnen über Europa hinziehen
würde.

[Technik begeistert: Reisen wie im HpyerTube]

Und heute morgen, nur zwei Jahrzehnte später, habe ich in 75 Minuten eine Fahrt von Paris nach Madrid hinter mich gebracht. Und mich hat nicht das Rauschen, Trommeln und Donnern von Eisenrädern begleitet, die unbeirrbar der Führung ihrer Eisenschienen folgen… So gesehen hat man einen Abschnitt der Zukunft einfach ausgelassen. Anders gesehen hatte man nur rechtzeitig eingesehen, dass man mit einer Technik, die unmittelbar vom alten Dampfross aus der Mitte des 19. Jahrhunderts abgeleitet war, nicht die Mobilitätsanforderungen des 21. Jahrhunderts würde bedienen können.

Im Eingangsbereich kann man sich den RapidExpress als Modell ansehen,
Maßstab 1:16. Die Formgebung durchaus ansprechend, da man sich längst
daran gewöhnt hat, dass die Stromlinie den ästetischen Wert von Fortbewegungsmitteln bestimmt. Die Farbgebung des Modells ist einfarbig, eintönig, schmucklos. Dass ich mich schon fragte, ob man mit der Erstellung des Modells nicht mehr rechtzeitig fertiggeworden sei. Nein, nein, so klärt man uns später auf, das ist der fade Farbton der Spezialbeschichtung.

[mit einem kleinen Buchauszug: zurück in die Zukunft]

Im Original sieht man den Gleiter nur von innen. Überhaupt findet die ganze Reise mit dem RapidExpress nur noch in Innenräumen statt, sobald Sie den Express-Port betreten haben. Sie haben nicht einmal durch ein Fenster ein wenig Sicht nach draußen. So unterscheidet sich eine Reise mit dem RapidExpress nicht wesentlich von einem Besuch bei der Behörde, sagen wir mal im zweiten Untergeschoss. Nur dass sie nach eineinviertel Stunden Wartezeit im Rapid-Express an ihr Ziel gelangt sind.

Irgendwann verkündet uns eine freundliche Stimme in diesem schlanken Warteraum, dass wir bei einer Geschwindigkeit von 1.100 Kilometern per Stunde mit der maximalen Reisegeschwindigkeit unserem Ziel zustreben. Magnetgleiten unter Unterdruckverhältnissen machtʻs möglich. Aber nichts deutet darauf hin, dass sich unser Wartesaal tatsächlich bewegt. Und mich begleitet stets das mulmige Gefühl, dass alles nur die gut gemachte Show in einem durchschnittlichen Fantasy-Park sei. Ich war mir nicht sicher, je in Madrid anzukommen, ehe ich nicht in Madrid aus dem Port nach draußen ging. Unter praller Sonne hinein in die lähmende Mittagshitze eines spanischen Sommers.

Heute sind wir dem Europa wieder einen wesentlichen Schritt näher gekommen,
in dem es keine Kontinentalflüge mehr gibt, wir nur noch die Starts und Landungen von großen Interkontinentalflugzeugen bestaunen oder erdulden werden. Etwas aber ist grundlegend neu an diesem Verkehrsmittel: Ein bodengebundenes Massenverkehrsmittel bietet eine schnellere Fernverbindung als der Flugverkehr.

(Auszug aus: Gerhard Ochsenfeld, Ent-Wicklungen – Plädoyer für eine Politik des Umbruchs, 1998 • Seite 128)