von der Schande des 3. Oktober

Meine Einstellung zum 3. Oktober hat sich in all den Jahren nicht wirklich geändert. Denn der Tag ist eher irreparabel – in sich und an sich.

Das zwanghafte Ringen eines wiedervereinigten Nachkriegsdeutschlands nach zwangloser Normalität ist darin verbrieft: Wir wollen auch unseren Nationalfeiertag! Der 3. Oktober als ein Tag ohne Ecken und Kanten. – Wenn man nur lang genug an etwas schleift, dann bleibt am Ende davon bei der faszinierenden Makellosigkeit der Kugel höchstens noch das brachiale Gewicht der Bowling-Kugel.

Ich kann ja ohnehin immer nur schön reden. Kontextbezogen darf ich wohl sagen, mich beglücke die Gnade der späten Geburt – zufällig auch noch auf der „richtigen“ Seite des Eisernen Vorhangs: Ich bin im Münsterland geboren und aufgewachsen. Selbst glühende Antiamerikanisten müssten wohl zugeben, dass es auf „dieser Seite“ immerhin um ein so Vielfaches lockerer und freier zuging, dass auch jene lieber hier auf den Straßen gegen Amerika demonstriert haben, als ihre Freiheit zu nutzen, um hinter die Mauer zu rennen und ein doktriniertes Lobpreis auf die Gleichheit aller anzustimmen. Und zu allem Überfluss bin ich sogar ohne von Flucht gezeichnete familiäre Altlasten aufgewachsen.

wenn schon feiern: weshalb am 3. Oktober?

Aber als ein so tief verwurzelter Westdeutscher frage ich nun einmal mehr: Weshalb ausgerechnet der 3. Oktober? Damit uns nichts mehr daran erinnern möge, dass „wir“ im Westen für die Wiedervereinigung ohnehin nicht mehr tun konnten, als sie sprachlich in der Zukunftsform zu belassen, um den eigenen Opferstatus aufrechtzuerhalten? Wir mussten „ertragen“, dass wir mit jedem Tag, die Ost- und Westdeutschland hart voneinander getrennt blieben, wir immer weniger würden anfangen können mit den systemisch Abgehängten: Die Gewöhnung an zwei Deutschland fütterte von zwei Seiten das Unwohlsein. Und verlangte die Nüchternheit ab, sich präventiv mit der Teilung abzufinden.

Geschenkt worden ist uns diese Wiedervereinigung – von denen, die sich selbst befreit haben. Es wäre das Mindeste gewesen, denselben (sich selbst Befreienden) eine Erinnerungskultur zu schenken. Was machen wir mit diesem 3. Oktober, der so bezugslos und nicht einmal „beziehungsweise“ ohne Bezug in der deutschen Geschichte auftaucht?

bitte mehr Anerkennung für die, die Widerstand gewagt hatten

Es gab mal einen 17. Juni. Aber wer Beijing den 4. Juni 1989 mit viel Verständnis für die politische Gesamtlage verziehen hat, musste wohl – konsequent – auch der eigenen (deutschen) Geschichte den 17. Juni mit der reuigen Geste der Bitte um Entschuldigung für das eigene Unverständnis nachsehen. Ich will mich gar nicht erhöhen, weil es so einfach ist, von Deutschland aus und gegenüber einem siebeneinhalb Tausend km entfernten Beijing so etwas wie eine Meinung zu haben: Ich nehme denen Tian’anmen immer noch übel…

Ja, und dann war da noch der 9. November. Ein Tag, in dessen Folge Westdeutschland sich mit dem Ruhm der Großzügigkeit nur so bekleckert hat. Angefangen mit Begrüßungsgeldern, fortgesetzt mit einem bedingungslosen 1:1-Umtausch der Ost- in D-Mark (der die beste Methode war, dem Osten die angehäuften Guthaben konsumfreundlich und schnell zu entziehen – und den Übergang von volkseigenen Betrieben in unternehmerische Initiativen klein und selten zu halten).

Ich gebe aber zu: Mit dieser merkwürdigen Bezugslosigkeit, mit der der 3. Oktober sich den Himmeln entgegenreckt – und mir dabei in seiner Belanglosigkeit auffällt – trage ich dazu bei, diesem Tag allmählich zu Bedeutung zu verhelfen. Was mich ja eigentlich dazu veranlassen musste, mich gerade nicht an diesem Tage über diesen Tag zu äußern.